Eine Powerfrau, die nicht weghistorisiert werden kann

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Die Tiroler Volksheilige Notburga hat sich das Volk selbst gemacht. Schließlich gibt es nicht viele heilige Bauernmägde in der Kirche.

Sie ist die einzige weibliche Heilige Tirols: Notburga. Eine jener "Heiliginnen", wie sie in einer Kapelle bei Matrei in Osttirol aus dem 18. Jahrhundert angerufen werden: "Alle Heiligen und Heiliginnen Gottes. Bittet für uns." Und sie ist eine ganz besondere "Heiligin", so scheint es. Keine Adelige oder Klosterfrau, keine Märtyrerin. Sie wurde auch nie offiziell heilig gesprochen. Da gibt es nur die Erlaubnis durch Papst Pius IX., 1862, die die längst bestehende, glühende Verehrung Notburgas, geboren - wie man annimmt - 1265 in Rattenberg am Inn, gutheißt und weiterhin gestattet.

Notburga war - so heißt es - ein selbstbewusstes, couragiertes, arbeitsames und überaus menschenfreundliches Geschöpf Gottes (heute würde man sie vielleicht als "Powerfrau" bezeichnen). In über 200 Exponaten wird ihre Verehrung im Augustinermuseum in Rattenberg, im Höfemuseum in Kramsach und im mittelalterlichen Schloss Matzen bei Brixlegg eindrucksvoll nachvollzogen. Eine umfassende und spannende "Ausstellungsstraße" mit dem Titel: "Mythos einer modernen Frau".

Der nüchternen Wissenschaft ist die Person der seit circa 700 Jahren verehrten "Heiligen der kleinen Leute" "anhand der historischen Quellen nicht greifbar und die Zeit ihres Wirkens bisher urkundlich nicht fassbar". Punktum. Aber es existieren Nachrichten über sie aus den Schriften des königlichen Stiftsarztes Dr. Hippolyt Guarinoni aus Hall in Tirol von 1620, überliefert in einer lateinischen Übersetzung. Und man kennt auch eine Weiheurkunde des Bischofs von Brixen aus dem Jahr 1434, die erstmals eine Kirche der heiligen Notburga in Eben am Achensee erwähnt.

Die Notburga-Legende aber ist in den Herzen der Tiroler so tief verankert, dass wohl niemand und nichts sie von dort weghistorisieren und -diskutieren kann. Man weiß einfach mit Sicherheit von Kind an, dass Notburga schon im zarten Alter von acht Jahren Magd, später Köchin und Beschließerin auf Schloss Rottenburg bei Jenbach war, dass sie wegen ihres starken und ehrsamen Charakters bei ihrer Herrschaft hoch im Ansehen stand und mit deren Erlaubnis das übriggebliebene Essen, das "Gloabate", großzügig an die Armen und Krüppel verteilte. Allerdings gab es damals auch eine böse, angeheiratete Gräfin, die ihr das sehr bald strengstens verbot, worauf Notburga sich das Essen vom Mund absparte und damit die Hungrigen speiste. Von der habgierigen Herrin, die die Essensreste den Schweinen zugedacht hatte, ertappt und gekündigt, arbeitete Notburga längere Zeit bei einem Bauern als einfache Magd in Eben am Achensee, wo sich alsbald das berühmte "Sichelwunder" ereignete:

Notburga pflegte mit Zustimmung ihres Arbeitgebers beim Klang der Feierabendglocke die Arbeitsgeräte beiseite zu legen, um sich dem Gebet zu widmen. Als der Bauer eines Abends die Magd bedrängte, die Ernte nicht zu unterbrechen, warf Notburga ihre Sichel in die Luft, wo sie hängen blieb. Ein bedeutsames Zeichen und Wunder! Schon damals wurde die gütige, hilfsbereite Magd von den Ärmsten der Armen als heiligmäßig verehrt, was sich nach dem "Hobelspäne-Wunder" noch vertiefte:

Als nämlich nach Notburgas Verlassen des Rottenburger Schlosses die böse Gräfin verstarb und als Gespenst wie ein Schwein grunzend nächtlicherweise durch die Gemächer geisterte und auch sonst noch allerlei Ungemach über die Herrschaft hereinbrach, holte man Notburga wieder zurück. Und als angesehene Köchin und Beschließerin speiste und pflegte sie mit Hingabe die Armen und Kranken, die damals bis zu Tausenden vor Klöstern und Burgen anstanden. Doch als sie vom Grafen eines Tages mit einem großen Essenskorb vor den Schlossmauern angetroffen wurde, da zeigte sich, dass auch dieser mit der Großzügigkeit seiner Angestellten nicht so ganz einverstanden war. Erzürnt hob er das Tuch, mit dem der Korb bedeckt war, und siehe da: statt Nahrung befanden sich nur Hobelspäne darin.

Als sich schließlich sogar der Inn um 1313 nach Notburgas Tod noch teilte, um das Ochsengespann mit ihrem Sarg in Richtung Eben durchzulassen, konnte der Notburga-Kult nicht mehr gebannt werden. Das Volk hatte seine "Heiligin" - und hat sie bis heute nicht mehr hergegeben.

Ihr Gedenktag wird am 13. September begangen. Wallfahrten nach alter Tradition zur Notburga-Kirche in Eben finden bis zum heutigen Tag statt. Allerdings nicht mehr in diesem Ausmaß wie in vergangenen Jahrhunderten, wo die Gläubigen die geliebte Heilige mit Speck, Brot und Käse verwöhnten, um sich ihre Hilfe als Beschützerin der bäuerlichen Dienstboten, der Arbeitsruhe, als Patronin bei Viehkrankheiten und für eine glückliche Geburt zu erflehen. Auch die so genannten "Schluckbildchen" mit der Abbildung der Volksheiligen, durch deren Verzehr man sich innigere Verbindung mit Notburga erhoffte, gibt es nicht mehr zu kaufen.

Die heilige Bauernmagd mit ihren Attributen, der Sichel, der Kanne, dem Brotkorb stieg österreichweit und auch über die Grenzen hinaus in ihrem Ansehen, als man laut "Visitationsprotokoll von 1602" das Grab Notburgas unter dem Hochaltar der Notburga-Kirche gefunden hatte. Allerdings warf dies auch die Frage auf, ob die Verstorbene nicht doch eine Angehörige des Rottenburger Adels gewesen sei, da man Mägde niemals unter einem Altar begrub. Diese und andere recht tollkühne Hypothesen über die Identität der Tiroler Idolfigur - von der gräflichen Geliebten, über die Amme bis zur von der Kirche favorisierten Dienstbotenheiligen als erwünschtes Pendant zum Bauernheiligen Isidor - können dem Ruhm und der großen Beliebtheit Notburgas keinen Abbruch tun.

Bis 26. Oktober

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