Energiegeladene Duos

Verloren und zerbrechlich wirkt die Gestalt im grauen Anzug auf der riesigen Bühne der Wiener Volksoper. Michael Dolan verkörpert den frühbarocken Maler in Liz Kings Tanzstück "Caravaggio" zurückhaltend bis an die Grenze zur Unsichtbarkeit. Lose gesellen sich die anderen zu ihm. Auf einer Kletterwand im Hintergrund loten zwei Tänzer die Gesetze der Schwerkraft aus. "Goliaths" abgeschlagener Kopf wird vorbeigetragen, Grüppchen formen sich nach Bildkompositionen des Malers, man sieht da ein Paar Flügel, dort ein Medusenhaupt. Langsam entwickelt sich ein Gewebe von Bewegungen aus denen sich gegen Ende verstärkt Paarfigurationen lösen.

Liz King und die Co-Choreographen Esther Balfe, Mani Obeya, Daphne Strothmann ließen sich von der dramatischen Ausdruckskraft mancher Bilder Caravaggios und der unmittelbaren Präsenz seiner Figuren inspirieren. Tatsächlich scheinen, vor allem in jenen Bildern, die in großen Szenerien Bibel- oder historische Themen (zum Beispiel "Kreuzigung Petri") aufgreifen, Bewegungsabläufe nur für einen Augenblick gestoppt. Sie weiterzudenken, Gesetzmäßigkeiten aufzuspüren, tänzerische Strukturen zu entwickeln ist eine faszinierende choreographische Aufgabe.

Allerdings vermittelte sich bei der Uraufführung das Konzept sehr vage. Die Zusammenarbeit mehrerer Choreographen mag eine Rolle gespielt haben. Es entstand der Eindruck, als versuchte man einerseits mit theatralisch-plakativen Mitteln Caravaggio dem Publikum näherzubringen, andererseits folgte man dem Trend des zeitgenössischen Tanzes in Richtung Abstraktion. Dort wo man am konsequentesten auf jeden Bedeutungsgehalt verzichtete, ist das Tanzstück dem Maler am Nächsten: in den energiegeladenen Duos, in denen sich die Sinnlichkeit, die Intensität und Leidenschaft spiegelt, mit der Caravaggio malte und lebte.