Religion und Werte
In der Ökonomie werden "Werte“ als Gegenstände verstanden, die man tauschen kann. Weil wir in einer Geldwirtschaft leben, tauschen wir im allgemeinen Sachen gegen Geld: ein Haus gegen eine Million Euro zum Beispiel. - Sollen die Religionsgemeinschaften nun in den allgemeinen Tauschhandel einsteigen, indem sie Spezialwerte - Gerechtigkeit, Freiheit oder Liebe zum Beispiel - auf den Markt tragen? Als religiöse Sonderangebote? Fast will es so scheinen, wenn Politiker aller Parteien die Religionen als "Quelle von Werten“ nutzen wollen.
In der "Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“ unterscheidet Immanuel Kant dezidiert zwischen tauschbaren Gegenständen und dem, das er "Würde“ nennt: "Was einen Preis hat, an dessen Stelle kann auch etwas anderes als Äquivalent gesetzt werden; was dagegen über allen Preis erhaben ist, mithin kein Äquivalent verstattet, das hat eine Würde.“ Die Würde ist definiert als "Zweck an sich selbst“, sie ist erhaben über jeden Preis. Wer sie gegen etwas anderes eintauschen wollte, würde sich "gleichsam an der Heiligkeit derselben ... vergreifen“. An diesen Begriff der Würde knüpft das deutsche Grundgesetz an, dessen erster Satz heißt: "Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ In der Schweizerischen Bundesverfassung ist seit 1992 auch die "Würde der Kreatur“ geschützt.
Die Aufgabe der Religionen, so meine ich, besteht nicht darin, im Big Business der Tauschwerte mitzumischen, sondern geduldig daran zu erinnern, dass nicht alles käuflich ist: "Gott schuf Adam, die Menschen, als göttliches Bild, als Bild Gottes wurden sie geschaffen, männlich und weiblich“ (Gen 1,27). Weil Gott kein Sonderangebot ist, sondern unverfügbar, sind auch Menschen, ist letztlich die ganze Kreatur unverkäuflich.
Das ist es, was wir zu sagen haben. Weniger nicht.
* Die Autorin ist evang. Theologin u. Schriftstellerin in der Schweiz
