Federleichte Wörter, federleichte Welt

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Buchtipp von FURCHE, Stube und Institut für Jugendliteratur

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Buchtipp von FURCHE, Stube und Institut für Jugendliteratur

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Wir betreten den Bilderbuchraum von Pia und ihrer Oma über das Vorsatzblatt, ausgemalt in porösen Bahnen in Rot, leer bis auf einen gezeichneten Vogelkäfig samt singendem Vogel. Links führt eine Tür hinaus - ins Nichts, das leuchtend weiß ist. Wie aus diesem Nichts gekommen schweben sechs Buchstaben auf der ersten Doppelseite, groß und weiß segeln sie über das Blatt. Dirigiert von Oma, wie es scheint, die ebenso leicht und filigran ist wie die Buchstaben, mit deren Hilfe sie die Welt benennt: "Das ist ein Tisch, sagt Oma. / Und hier ist das Fenster." Der Text, in den Weißraum des Fensters gesetzt, ist die Verbindung zwischen Innen und Außen. Der Raum, auf den sich die figurengroßen Buchstaben, versale Serifen, legen, ist nur angedeutet, in übereinander gelegten Farbbahnen, die dabei immer durchlässig bleiben. In diesem luftigen Raum, den Nanna Prieler klug und federleicht inszeniert, bringt die Oma der Enkelin das Sprechen bei, erklärt ihr die Wörter und also die Welt.

Wir sagen dazu Demenz

"Oma hat so viele Wörter", erzählt der Text, und: "Die Wörter fliegen. / Von Oma zu Pia". Und die Dinge und Figuren, für die die Wörter stehen, fliegen ebenso, fein konturiert, als ob es Bildbuchstaben wären, über die Seiten. Die Buchstaben werden mehr, die Wörter machen Pias Welt größer und dichter. Von Doppelseite zu Doppelseite wächst das Mädchen, taucht ein in die auf leichten Flächen gezeichnete Welt. Je älter Pia wird, desto mehr Geschichte hat auch Oma. Die Zeit vergeht schnell und das ist fast nicht wahrzunehmen, bis Oma die Wörter durcheinanderbringt. "Mach den Teller zu, sagt Oma, es windet, / das geht gar nicht!"

Wir sagen dazu Demenz, ein Wort mit sechs Buchstaben, gar nicht federleicht.

Jutta Treibers feiner Text ist reduziert auf die wesentlichen Wörter, voller Gefühl, aber ohne Sentiment -das funktioniert, weil sie genau ist. Der schöne Schriftsatz (inklusive perfekt gesetztem Zeilenumbruch) unterstreicht den lyrischen Ton. Wie in den Bildern lugt hier und da feiner und fröhlicher Humor durch: "Pia zeigt Oma ihr Fotoalbum. / Wo ist eigentlich Opa?, fragt Oma. / Er ist schon so lange weg. / Sollte er nicht längst zurück sein? / Oma, sagt Pia. Opa ist tot. / Ach so, sagt Oma, kein Wunder, / dass er nicht heimfindet."

Am Ende sind alle Wörter von Oma zu Pia geflogen und hinaus in die luftige Welt. Wir verlassen den Bilderbuchraum von Pia und ihrer Oma über das Nachsatzblatt, ausgemalt in porösen Bahnen in Grün, leer bis auf den Vogelkäfig, dessen Tür nun offen ist. Der Vogel ist ausgeflogen.

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