Fragen nach dem, was davor war

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Die Milch kommt aus dem Tetrapak. Und davor? Die Milch kommt aus dem Kühlschrank. Und davor? Davor kommt sie aus dem Supermarkt. Und davor? Aus der Molkerei. Und davor? Aus dem Bauernhof. Und davor? Aus der Kuh. Wer kümmert sich um die Kuh? Wer gibt ihr Futter, und welches Futter? Wer sorgt sich um den Mist, den eine Kuh macht? Wer ist lieb zur Kuh?

So ließe sich in allen Bereichen des Lebens, allen Gegenständen des Konsums gegenüber fragen. Der Strom kommt aus der Steckdose. Benzin kommt aus der Zapfsäule. Wasser kommt aus dem Wasserhahn. Der Wein kommt vom Weinhändler und das Gemüse vom Großhändler. Gesundheit vom Arzt und Psychotherapeuten. Kunst aus der Galerie und Musik aus der Stereoanlage.

Und immer lässt sich fragen: Und davor, was war davor? Eine alte Kinderfrage, die Erwachsene allzu leicht verlernen. Dabei ist es gut, diese Frage zu stellen. Es ist gut, sich durchzufragen bis zur Aufmerksamkeit, die eine Kuh verlangt, bis zu den Mühen und Nöten, aus denen Kunst auch entsteht, bis zum Boden, auf dem etwas wächst, bis zu den Ratlosigkeiten von Ärzten und Psychotherapeuten (von Priestern gar nicht zu reden), bis zum Schrecklichen der Förderung von Öl und bis zu jenen Abgründen, an die gerät, wer der Produktion der Energie bis in die Atomkraftwerke nachgeht.

Heute wird munter produziert und verbraucht. Doch die Umstände der Herstellung und der Umgang mit dem, was bleibt, mit dem Abfall, werden im Dunkel gehalten.

Hier lässt sich schön mit einer neuen Aufklärung beginnen. Sie fragt immer weiter: Und davor, was war davor? Sie fragt sich durch, bis sie nach weitem Weg durch die Konstruktionen heutiger Kunstwelten schließlich zu dem gelangt, was sich als Welt vor dem Zugriff bezeichnen lässt. Bis zu der dem Menschen vorgegebenen Welt. Denn diese Welt ist dem modernen Bewusstsein weitgehend verloren gegangen. In Katastrophen macht sie sich jedoch bemerkbar.

* Der Autor ist Kunsthistoriker und Rektor der Jesuitenkirche in Wien

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