Gefährliche Erinnerung

Werbung
Werbung
Werbung

Zu Zeiten des Nationalfeiertags ist es gut, Distanz zu gewinnen. Im Überblick fügen sich Bruchstücke zu einem Text zusammen, der aus der Nähe kaum zu entziffern ist. Schüssel und die Pensionsreform, Morak und die Diagonale, Strasser und das Asylgesetz, Bartenstein und die Voest, Gehrer und die Universitätsreform - was haben sie miteinander zu tun?

Hinter den politischen Sach- und Streitfragen verbirgt sich eine Mentalität, über die Vermutungen zu äußern im Feuilleton erlaubt ist. Haben wir uns nicht gewundert, als die Regierung zum Ende der EU-Sanktionen nach Mariazell wallfahrtete? Haben wir nicht über den frommen Jubel gestaunt, der den Wahlsieg der ÖVP mit Dank an Gott und Wolfgang Schüssel begleitete?

Der gerade posthum gefeierte Friedrich Heer verstand es, die versteckten Fäden sichtbar zu machen, die die Geschichte durchziehen, die österreichische insbesondere. Heute drängt sich die Erinnerung an den politischen Katholizismus der Zwischenkriegszeit auf, verbunden mit dem Glücksgefühl über den erreichten Fortschritt: Es wird nicht mehr geschossen. Wohl aber hat eine autoritäre Vorgangsweise die Tradition der Konsenssuche verdrängt und wird, wo möglich, auch festgeschrieben: Wo es seit jeher Mitsprache gab, auf den Universitäten, regieren ab 2004 monokratische Organe.

Die römische Kirche ist die Modell-Monokratie. Wer in ihr für mehr Mitsprache eintrat, weil heute demokratische Zustände üblich seien, muss nun vorsichtiger argumentieren. Eher scheint die Politik von der Kirche zu lernen. Selbstverständlich haben wir eine Verfassung, einen Verfassungsgerichtshof und freie Wahlen. Aber aus einiger Distanz betrachtet, fügen sich viele Indizien zum Bild einer nicht ungefährlichen Erinnerung.

Der Autor ist freier Journalist und war Leiter der Abteilung Religion im ORF-Fernsehen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung