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Joseph Haydn und England

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Wie es im Leben eines jeden großen Künstlers Ereignisse gibt, durch die erst seine ganze Schaffenskraft zur vollen Entfaltung gelangt, so sind audi bei Joseph Haydn zwei Wendepunkte von entscheidender Bedeutung festzustellen. Der erste war sein Eintritt als Kapellmeister in den Dienst des kunstsinnigen Fürsten Paul Anton Esterhazy und dessen Bruders Nikolaus. Dort, in der ländlichen Einsamkeit und Abgeschiedenheit, auf Schloß Esterhazy, schuf der Meister eine Fülle von Quartetten, Quintetten, Sonaten, Arien und Symphonien, die ihn trotz seines zurückgezogenen Lebens weithin berühmt machten. Sein Ruhm drang auch nach England und seine Symphonien sind in den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts in den Londoner Konzertprogrammen gar nicht selten. Der englische Verleger William Forster brachte weit über 100 Werke des Tondichters heraus. Das sogenannte „Rasiermesserquartett“, eine von Haydns bekanntesten Kompositionen, verdankt seinen kuriosen Namen dem Londoner Verleger Bland, dem Haydn, wie verbürgt beritet wird, das Opus für ein paar echt englischer Rasiermesser überlassen hat.

Bland, ein begeisterter Haydn-Verehrer, versuchte vergeblich, den Meister für eine Reise nach England zu gewinnen; solange Haydn sich aber bei Fürst Nikolaus Esterhazy gebunden fühlte, lehnte er alle derartigen Anträge ab. Erst nach dem Tode des 76jährigen Fürsten im Herbst 1790 war für Haydn der Weg aus seinem bisherigen engen, friedlichen Kreis in eine neue Welt frei.

In seiner Wiener Wohnung, Seilerstätte 15, schließt er den Vertrag mit dem Londoner Musikunternehmer und Geiger I. P. Salomon, der zwei Kunstreisen Haydns nach England arrangiert. Über seine Reise und seine ersten Eindrücke in London gibt Haydn in einem Brief an Marianne v. Genzinger folgende Sdiilderung:

„Berichte demnach, daß ich den ersten Dieses als am neuen Jahrestag, früh um halb 8 Uhr nach angehörter hl. Messe in das Schiff stieg und nachmittag um 5 Uhr, dem Höchsten sei gedankt, wohlbehalten und gesund zu Dover ankam. Während der ganzen Überfahrt blieb ich oben auf dem Schiff, um das ungeheure Tier, das Meer, attsam zu betrachten.

Solange es windstill war, fürchtete ich mich nicht, zuletzt aber, da der immer stärkere Wind ausbrach und ich die heranschlagenden ungestümen hohen Wellen sah, überfiel mich eine kleine Angst und mit dieser eine kleine Üblichkeit. Doch überwindete ich alles und kam, ohne zu brechen, glücklich an das Gestade. Meine Ankunft verursachte großes Aufsehen durch die ganze Stadt. Durch drei Tage wurde ich in allen Zeitungen herumgetragen. Jedermann war begierig, mich zu kennen. Gestern wurde ich zu einem großen Lieb-haberconcert geladen. Als ich mein Billet abgebe, ließ man mich nicht hinein, sondern führte mich m ein Benebzimmer, wo ich bleiben mußte, bis das eben in dem Saal pro-ducirende Stück vorüber war. Alsdann öffnete man die Tür und ich wurde unter den Arm des Entrepreneurs unter allgemeinem Händeklatschen durch die Mitte des Saals bis vorne an das Orchester geführt, allda angeäftt und mit einer Menge englischer Komplimenten bewundert. Man versicherte mich, daß diese Ehre seit 50 Jahren nicht sei vollzogen worden.“

In England war Haydn der gefeierte große Mann. Neben vielfachen gesellschaftlidien Verpflichtungen mußte der Meister zahlreiche Konzerte dirigieren, und, vom berauschenden Gefühl der Popularität getragen, entfaltete er in seiner gesteigerten Schaffenskraft eine Produktivität, die durdi ihre Tiefe und auch ihre Breite überraschte. Oft kam es vor, wie er später erzählte, daß auf seinen Spaziergängen Fremde auf ihn zutraten und ihm mit den Worten „You are a great man“ die Hand schütteln. Den Höhepunkt seiner Ehrungen bildete seine Promotion zum Doktor der Musik in Oxford. Haydn hätte am 18. Mai 1791 in Oxford in einem Konzert mitwirken sollen, konnte aber sein Vorhaben nicht ausführen und versprach den Besuch der Universität nachzuholen. Dies sollte im Juli geschehen, da auf Vorschlag von Dr. Burney die Universität den Beschluß gefaßt hatte, Haydn den Grad eines Doctor of Music honoris causa zu verleihen. Zum Dank für diese außerordentliche Ehrung widmete er der Universität die Sinfonie in G-Dur, die er audi dort zur Aufführung brachte. Diese Sinfonie, die als „expressly selected for this concert“ bezeichnet wurde, erhielt daher den Namen „Oxford-Sinfonie“.

Mit Ruhm und Ehre, aber auch mit goldenem Lohn beladen kehrte Haydn im Sommer 1792 nach Wien zurück. Beginn 1794 trat Haydn auf wiederholte Einladung seine zweite Fahrt nach England an, diesmal blieb er volle eineinhalb Jahre, bis zum 15. August 1795. Er wohnte 18 Pulteny Street und Nr. 1 Bury Street, Ecke King Street Nr. 12, St. James. Die Auszeichnungen, die ihm jetzt von Seiten des Hofes und des Publikums zuteil wurden, übertrafen noch die Huldigungen bei seinem ersten Aufenthalt.

Die künstlerische Ausbeute der beiden Englandreisen war reich. Wir verdanken diesen vor allem jene zwölf großen Orchesterwerke, die unter dem Namen „Englische Sinfonien“ Weltruhm erlangten. Unter dem Eindruck der großen Oratorien anläßlich der Londoner Händel-Feier des Jahres 1791 faßte auch Haydn den Entschluß, auf gleichem Gebiete zu wirken. So sind denn auch die Texte von Haydns unvergänglichsten Werken in gewissem Maße englischen Ursprungs: Lindleys Bearbeitung von Miltons „Paradise Lost“ liegt der „Schöpfung“, Thomsons Gedicht „The seasons“, den „Jahreszeiten“ zugrunde.

Das Erlebnis England, die Begeisterung, mit der ihm jenseits des Meeres ein ganzes Volk zugejubelt hatte, gab ihm die Kraft und die Sammlung, noch im hohen Alter den Gipfel seiner Kunst zu ersteigen.

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