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Tiroler Gletscherwasser

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Die breite, fast ebene Einsattelung des Reschenpasses ist im Frühjahr übersät von weißen und blauen Blütentrichtern: der Krokus blüht! Kühl weht es von den dunklen Bergen herab und wenn man der Straße nachgeht, die durch das Dorf Reschen zu dem kleinen See führt, dann ist mit einem Male ein schmales Bächlein neben uns, das seine Wässerchen aus den feuchten Krokuswiesen sammelt. Und dieses Bächlein ist die Etsch!

„Die Etsch entspringt aus ainer wisen, ist ain zimlichs groß und Hechtes brünnlein, rinnt allda durch 3 grosse see ...“ So schreibt Marx Sittich von Wolkenstein in seiner „Tirolischen Chronik“, die an der Wende des 16. und 17. Jahrhunderts entstanden ist. Der Reschen ist nicht so berühmt wie der Brenner, aber er ist nach ihm der einzige Straßenübergang von Nord- nach Südtirol. Vielleicht wird eines Tages auch noch die Bahn über seine Paßhöhe fahren — begonnen hat man ihren Bau schon sehr oft und die Linie, die von Bozen über Meran bis nach Mals führt, ist ebenso ein Beweis für diese Bemühungen, wie die Dämme, Tunnels und halbfertigen Brücken, die im oberen Inntal zwischen Landeck und Finstermünz zu sehen sind. Im ersten Weltkrieg hat man schon versucht, dieses Unternehmen rascher zu Ende zu führen, aber er war damals eben schon so verloren, wie der zweite im Jahre 1944, als man erneut und mit Hochdruck zu bauen begann. Auf dem Steilhang der Malser Heide stehen sogar die Riesenmaste für die Elektroautobusse, die zunächst die Nord- und Südrampe verbinden sollten.

So wie der Reschen an Berühmtheit dem Brenner nachsteht, so mag für alle, die nur die drei Jahrzehnte des geteilten Tirols erlebt haben, die Etsch, die auf der windumwehten Paßhöhe entspringt, vor dem Inn verblassen. Und doch ist sie der tirolische Fluß. Der Inn kommt vom Julierpaß. Seine Quellen sammeln die Gerinne der schweizerischen Gletscher, seine breitgewordenen Fluten aber trägt der Inn wieder aus dem Lande und führt sie durch Bayerns Ebene der Donau zu. Der Inn fließt also durch Tirol, freilich ist sein Tal zwischen Finstermünz und Kufstein ein bedeutsamer Teil dieses Landes und Innsbruck, die Landeshauptstadt, steht an seinen Ufern. Von der Etsch aber gilt immer noch, was Wolkenstein von ihr schrieb: „Etschland betreffend, so der kern in tyrol ist, hat seinen namen von der Etsch, den fürnembsten fluss, der dadurch rinnet, genommen.“

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