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Vergessenes Exempel

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Kühl ist die Luft im Veitsdom. Die Juli“ hitze, die trotz des Abends noch über dem Hradschin hängt, dringt nicht durch die dicken Mauern. Nur oben bei den Fenstern des Mittelschiffs, bei den Triforien Peter Pjrlers, ahnt man den geballten, aber lautlosen Versuch der Sonnenglut, in den Dom einzudringen. Kaum ein Mensch ist noch im Dom. Dunkel liegt schon der Kapellenkranz rund um den Hochaltar, nur das getriebene Silber am Sarkophag des hl. Johannes von Nepomuk ist wie ein heller Fleck darin. In seiner ganzen Wucht und Breite unterbricht das Grabmal Ferdinands I., das sich der König noch zu seinen Lebzeiten von Alexander Collin aus Mecheln hat erbauen lassen, das langgestreckte Kirchenschiff. Da blendende Weiß der Marmorfigur des Königs, die auf dem Deckel liegt, hebt sich scharf aus dem Dunkel ab. Und neben ihm das Mal der Königin Anna, seiner Gemahlin, der Jagellonin, die ihm die böhmische und ungarische Krone brachte.

Es ist totenstill im Dom. Sogar die schlürfenden Schritte des Kirchendieners sind nicht mehr zu hören. Unbeweglich liegt die Figur des Königs da, als ahnte sie nichts mehr von dem großen Kampf, der jetzt — wieder einmal — um Böhmen tobt. Als er nach Böhmen kam, war die Lage des Katholizismus mehr als hoffnungslos. Und doch hat er ohne Gewalt, zu der er nach dem „Cuius Regio“ des Augsburger Religionsfriedens berechtigt gewesen wäre, durch Klugheit mehr für die Kirche erreicht als manch anderer Eiferer des Glaubens.

Was würde er zur politischen Methodik von heute sagen? Vielleicht nur lächeln und auf das Schicksal der kirchlichen Politik seines Nachfolgers Joseph II. verweisen, jenes Joseph, dessen Eingriffe in das Leben des Katholizismus zwar aus anderen Aspekten, aber fast in den gleichen Formen wie heute erfolgten. Der — ähnlich wie jetzt der tschechische Justizminister — den Papst nur als Ausländer gelten ließ, dem nur mehr unbedeutende Rechte über die Katholiken zustünden. Der die päpstlichen Nuntien argwöhnisch beobachten ließ und ihnen das Reisen in den habsburgischen Ländern erschwerte, ähnlich den Schwierigkeiten, -die eine Regierung in unseren Tagen dem päpstlichen Vertreter Verollino bei seinen Reisen in die Slowakei bereitete. Der — genau wie jetzt — den hohen Klerus von Rom und den niederen vom hohen zu trennen versuchte. Der die Geistlichen zu Staatsbeamten machte und ihnen neben dem staatlichen Gehalt auch bei besonderer „Bewährung“ Gratifikationen zukommen ließ, genau wie es jetzt das neue Kirchengesetz der Republik vorsieht. Der sich vorbehieit, alle kirchlichen Ämter, von den Erzbischöfen angefangen bis zu den kleinsten Pfarrern hinab, selbst zu besetzen. Der verbot, kirchliche Dekrete zu verkünden, die ihm nicht genehm waren. Und dessen Kirchenpolitik nach zehn Jahren einen so vollständigen Schiffbruch erlitt, daß er sie noch auf dem Totenbett widerrief.

Dabei liegen die Verhältnisse für ein Wiederholung des unglücklichen Versuches heute ungünstiger denn je. Die Gefolgschaft der Kirche ist längst gesiebt und gereinigt. Fast ein Drittel der Einwohner Böhmens kehrten der Kirche nach dem ersten Weltkrieg den Rücken; wer geblieben ist, wird wohl auch weiter bleiben. Die versteckte Drohung mit der Gründung einer romfreien Kirche hat so gut wie keine Chancen. Zu oft schon wurde der Versuch in diesem Land unter weit günstigeren Umständen unternommen und endete kläglich. Auch der Wunsch, einen Keil zwischen hohen und niederen Klerus einerseits, Klerus und Rom andererseits zu treiben, ist zum Scheitern verurteilt: die Ideen des Episkopalismus sind längst gestorben. Ebenso muß der Versuch, mit sozialen Scheinargumenten den niederen vom hohen Klerus zu trennen, mißlingen: heute geht der hohe Klerus aus der gleichen sozialen Schicht wie der niedere hervor, beide leben das gleiche Leben. Unter Kaiser Joseph II. mußte der Papst noch durch eine Reise zum Herrscher versuchen, der bedrängten Kirche zu Hilfe zu kommen. Jetzt sind die Fronten so klar, daß das Exkom- munizierungsdekret des Offiziums jede Vernebelungsversuch im Keim erstickte. Kurz darauf erfolgte schon das Treubekenntnis der Geistlichen zu ihren Bischöfen …

Ein Kirchendiener geht durch den Dom und raschelt mit den Schlüsseln: es ist Zeit, den Dom zu verlassen. Über die weiße Figur des König Ferdinands huscht ein Strahl der Abendsonne. Von einem Lächeln keine

Spur. Nur tiefer Ernst liegt auf den Zügen, als wüßten sie um den kommenden Sieg, aber auch um die Opfer, die er bis dahin fordert.

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