Gespenst im Rampenlicht

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Die Wellen des Prozesses schlugen bis nach Österreich, als Michael Jackson mit dem Goldenen Ehrenzeichen der Stadt Wien im Gerichtssaal erschien. Doch der Verstoß gegen das Wiener Ehrenzeichengesetz - er hatte den Orden nicht verliehen bekommen, sondern bei einem Antiquitätenhändler erworben - war wohl die geringste Sorge des wegen Kindesmissbrauchs und verwandter Delikte angeklagten Popstars. Nun verließ Jackson das Gerichtsgebäude im kalifornischen Santa Maria als freier Mann - so frei, wie jemand sein kann, der sich seit Jahren selbst in einer bizarren Traumwelt einschließt. Jemand, der sein Anwesen "Neverland" genannt hat, "Nimmerland", so wie das Reich Peter Pans, jenes Jungen, der nicht erwachsen werden will. Erwachsen werden - damit hatte auch Jackson seine Schwierigkeiten. Der exzentrische Star umgab sich in seinem privaten Disneyland am liebsten mit Kindern, teilte sogar das Bett mit ihnen, und in seinen seltenen Interviews wirkte er selbst stets wie ein verstörtes, verschüchtertes Kind.

Jackson mag keine Kinder sexuell missbraucht haben, sicher aber hat er sie gebraucht, sie benutzt, um seine eigene verlorene Kindheit zurückzuholen. Von seinem Vater unter Prügeln zum Kinderstar gedrillt, steht der 1958 geborene Jackson von Kindesbeinen an im Scheinwerferlicht. Als Sänger der Familienband "Jackson 5" hat er in den siebziger Jahren mehrere Hits, eine Solokarriere folgt. Das epochale Popalbum "Thriller" (1982) verkauft sich über 50 Millionen mal. Bald nach diesem Megaerfolg beginnt auch die Metamorphose des Michael Jackson, die selbst das heute übliche Ausmaß der plastischen Chirurgie weit in den Schatten stellt. Der anziehende Afroamerikaner, der vom "Thriller"-Cover herabblickt, verwandelt sich im Lauf der Jahre in die Karikatur eines Weißen, in ein fahles Gespenst mit glatten Haaren und spitzer Nase. Ein ätherisches Wesen, nicht mehr von dieser Welt. Ein Alien. Allein auf der Bühne, wird aus dem scheuen Freak, der aus Angst vor Krankheitserregern oft nur mit Mundschutz in die Öffentlichkeit tritt, ein vor Vitalität und Erotik strotzender Mann, der mit ungewöhnlichen Tanzschritten Aufsehen erregt ("Moonwalk").

Mit dem Album "Bad" landet Jackson 1987 noch einmal einen Welterfolg, doch dann beginnt der Abstieg. 1993 tauchen die ersten Missbrauchsvorwürfe auf; einer Anklage entgeht er nur durch eine außergerichtliche Einigung. Im Jänner dieses Jahres brachte ihn sein fataler Hang zu Kindern, der freilich auch rein platonisch sein könnte, schließlich auf die Anklagebank. Jackson wurde zu Wochenbeginn von allen Vorwürfen freigesprochen, doch seine Existenz ist in Trümmern: Entstellt von unzähligen Schönheitsoperationen, künstlerisch bedeutungslos, mit über 400 Millionen Dollar verschuldet. Ein amerikanischer Traum ist am Ende. Michael Kraßnitzer

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