Gräfin will Konversation

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Uraufführung in Klagenfurt: Peter Turrinis Stück "Bei Einbruch der Dunkelheit" bringt die legendäre Künstlergesellschaft vom Tonhof auf die Bühne.

Die viel bejubelte Uraufführung von "Bei Einbruch der Dunkelheit" von Peter Turrini am Stadttheater Klagenfurt, inszeniert von Dietmar Pflegerl, ist eine gelungene, nicht wirklich verstörende Auseinandersetzung mit biografischen Erfahrungen, vor allem aber mit Beziehungen zwischen Menschen.

Konversation deckt Wahrheiten zu und stellt Wunden bloß. Sie kann Begabungen klein machen und jegliche Bewegung unterdrücken. "Nichts hasse ich mehr als das Ausbleiben der Konversation", sagt die alte Gräfin. Mit Konversation behält sie den Anspruch auf den Mittelpunkt und auf alle, die von ihrem Geld leben. Sie residiert am Kaffeetisch im Garten, der als geheimnisvolle Fluchtmöglichkeit vielleicht in sein Pflanzenlabyrinth, vielleicht in die Freiheit führt: Die Personen zieht es zueinander hin, sie verletzen sich selbst und die anderen, wollen flüchten und bleiben gefangen.

Sie treiben ein Spiel mit ungewissem Ausgang, stilisieren ihre tief bedrückende Langeweile als Lebensgefühl und erhalten sie doch selbst im Entfliehen. Ihre Begabungen erscheinen als Launen, als selbstsüchtige und selbst gefährdende Inszenierungen von unerfüllten Träumen. Das Stück ist eine kunstvolle Abhandlung über das Überstreifen und Abreißen von Masken, über die Befragung nach Wahrheit und das Schutzsuchen in der Dunkelheit. Im Ambiente, in einzelnen Personen und Details werden die verdichteten Erinnerungen von Peter Turrini an den legendären Tonhof in Maria Saal deutlich. Dort schufen der Komponist Gerhard Lampersberg und seine Frau Maja in den Fünfzigerjahren eine Enklave für Künstler als Nährboden für die Avantgarde. Im Tonhof gingen wechselnd Künstler wie Arnulf Rainer, Thomas Bernhard, Christine Lavant, H. C. Artmann, Gerhard Rühm, Herbert Wochinz, Jeannie Ebner, Elfriede Gerstl und viele andere aus und ein. Er war ein einmaliges Zentrum künstlerischer Entfaltung - und ein Faszinosum für den Sohn des benachbarten Kunsttischlers, der als begabter Fünfzehnjähriger schließlich Eingang in den "Ort des Dramas, der größten Gesetzlichkeit und größten Gesetzwirdrigkeiten" fand, aber "immer nur Gast" blieb.

Ein Septembernachmittag im Jahr 1959: Auf dem Kiesweg zwischen dem alten Gutshaus und dem Garten, der im Bühnenbild von Bernd-Dieter Müller von einer ebenso verführerischen wie bedrohlichen hohen Hecke begrenzt wird, spielen sich Zwänge und Aggressionen, unerwiderte Gefühle und Zuwendungen ab. Die Gräfin hält sich am Leben, indem sie fortwährend redet und isst, demütigt und entblößt. Gertrud Roll gelingt eine großartige, boshafte Figur zwischen leerer Konversation, unverblümten Treffern, Angst und Witz. Nicht nur an ihr zerbricht der komponierende und trinkende Schwiegersohn Philippe, den Bernhard Schir mit vielen Nuancen versieht. Die mit aller Kraft verdrängende Tochter Claire wird von Ruth Rieser mit schmetterlingshafter, aber blasser Vornehmheit versehen. Es sucht sich der Lyriker Vinzenz (Josef Bilous) zu nehmen, was der reiche Mäzenatentisch hergibt, wie auch der Maler Giuseppe (Xaver Hutter). Der Anwalt der Familie (Toni Böhm) lebt schon lange dort gut.

Der Gesellschaft mit ihren Gemeinheiten, mit ihrer ungestillten Sehnsucht, Zerrissenheit, Lebensunfähigkeit steht der 15-jährige Sohn des Dorfschmieds gegenüber und beobachtet, saugt in sich auf, ist nicht Teil davon und kann sich auch nicht losreißen: ein hoffnungsvoller Stachel, eine Verbindung nach draußen. Fasziniert mehr von Personen als vom künstlerischen Geschehen. Eine verbogene Tischrunde, die mit ihren Abgründen zu spielerisch umgeht.

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