Haupt- und Nebenmorde

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In Ernst Hinterbergers Wien ist das Verbrechen nicht mafios, sondern psychopathisch.

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In Ernst Hinterbergers Wien ist das Verbrechen nicht mafios, sondern psychopathisch.

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Die "Wiener Kriminalromane" sind durch Ernst Hinterberger zum Begriff geworden. Schon gibt es ein kleines Regal davon, einige sind zu beliebten Fernsehserien ausgewachsen, etwa der "Kaisermühlenblues", sie stemmen sich erfolgreich gegen die amerikanische Konkurrenz. Das Wiener Verbrechen kann sich literarisch sehen lassen.

Der jüngste Roman dieser Reihe heißt "Die dunkle Seite - Inspektor Trautmann ermittelt". Der Kenner findet sein gewohntes Szenario, die Mordgruppe Zwei vollzählig im verrauchten Dienstzimmer versammelt, mit ihren Rivalitäten, Beißereien, Eitelkeiten, aber auch Verzweiflung an ihrer Schwerarbeit. Wie üblich die Mordserie: kleine Mädchen, Frauen, Huren, ein halbes Dutzend diesmal. Immer ausreichend Grausiges, Obduktion, Medienrummel. Das kriminalistische Kombinieren wird durch Meditieren ergänzt: Trautmann ist Buddhist geworden und geht sein Ziel Zen-methodisch an, er pendelt aus einem Stapel Fotos das des Täters heraus.

Von da an geht es reißend wie die Wien bei Hochwasser zu Tal. Als Flußverbauung dienen viele kleine Nebenmordgeschichten. Wohlkanalisiert geht's weiter bis zur letzten frischen Tat, wobei der Täter Ivanschitz, als habe er sein Schicksal fast erwartet, unter den Kilogrammen Trautmanns niedersinkt und nur noch wortlos mit den Beinen strampelt. Das Geständnis folgt auf der Wache, von guten Worten des Kommissars und einer Zigarrette unterstützt. Ein Schwächlicher, verklemmt von Jugend an, zeitlebens Opfer elterlicher Dominanz. Die "dunkle Seite" Wiens ist also beruhigenderweise psychopathisch, nicht mafios, politisch oder sonstwie kriminell.

Die andere dunkle Seite wird recht bunt bebildert aufgeschlagen: Hinterhöfe, Substandard-Wohnungen, verdreckte Parks am Margaretengürtel, heruntergekommene Gemeindebauten, alles topologisch, stadtgeschichtlich, soziologisch richtig vorgestellt. Dazu, wahrscheinlich genauso richtig: kleine Reportagen über Türken-Puffs, Mobil-Bordelle, Schwulendiskos, Drogenszene. Dazwischen, als helle Tupfer, die hilfsbereiten kleinen Leute, wie sie mit ihren dicken Hunden reden und sie äußerln führen, die Preise von Mondo und Spar vergleichen, die Sandler lieber ignorieren, als sich aufzuregen, die Ausländer nicht mögen, aber auch nicht hassen.

Sie sehen die ungute Entwicklung in ihrem Quartier und machen das für sie Gescheiteste, wenn sie können - ausweichen oder gleich ganz aussterben.

Viel spielt sich in Dialogen ab. Die Sprache ist ein mäßig eingefärbtes Hochdeutsch, würzig gespickt mit Gauner- und Polizeijargon, mit dem Glossar dazu am Ende des Buchs. Trautmann vertraulich zu einer Netten aus dem Milieu: "Es hat halt jeder sein Werkzeug. Ihr habts ein Packerl Präserln im Handtaschl, damits ihr kein AIDS oder keinen Syph aufreißts. Dein Boß und ich, wir hab'n halt die Puffn (Pistole), damit wir uns wo anhalten können, wenn's ungut wird."

Hinterberger diffamiert seine Randgruppen nicht. Wie schnell dann aber Sprache, ohne Absicht, doch verletzen kann, zeigt die Rede des türkischen Hausbesorgers: "Ich fünfzehn Jahre im Haus und kennen alle Leute. Auch Ivanschitz. Spaßige Leute. Nur Mutter und Sohn. Immer miteinander. Leute sagen, vielleicht liegen miteinander auch im Bett, weiß nicht. Kann sein, weil Sohn Ivanschitz nie gehen mit Mädchen. Haben Angst vor Frau, glaube ich. Weil nix Haar auf Kopf. Gehen weg, weil Ivanschitz krank. Kommen nicht mehr."

Nicht der Hausbesorger diffamiert den Mieter, sondern das Aufgeschriebene einen unbeholfenen Sprecher. So feinwirkend kann Sprache sein, auch im Wiener Kriminalroman.

Die dunkle Seite. Ein Wiener Kriminalroman Von Ernst Hinterberger, Verlag Deuticke, Wien 1998, 202 S., geb., öS 228.

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