Heilung auf Peruanisch

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Mit ihrem symbolbeladenen, surrealen Drama „La teta asustada“ gewann die peruanische Regisseurin die Berlinale 2009. Abgesehen von der exzeptionellen Filmsprache gibt der Streifen auch berührende Einblicke in die zerrüttete Seele Perus. Die Fragen stellte Otto Friedrich per E-Mail

Erschrockene Brustwarze, spanisch: „La teta asustada“ – so heißt in der Volksmeinung eine psychische Folge des Bürgerkriegs zwischen der Guerilla „Leuchtender Pfad“ und der peruanischen Regierung in den 80er Jahren: Kinder, die bei der Vergewaltigung von Frauen durch Guerilleros oder Soldaten gezeugt wurden, hätten das Trauma der Mutter mit der Muttermilch aufgesogen. Regisseurin Claudia Llosa machte das zum Thema ihres Films.

Die Furche: Wie kamen Sie an Informationen über die psychische Krankheit „La teta asustada“?

Claudia Llosa: Ich erfuhr davon durch die US-Anthropologin Kimberly Theidon, die in ihrem Buch „Entre Projimos“ („Unter Nachbarn“) die Erzählungen vieler Frauen über den Guerillakrieg gesammelt hat. Einige von ihnen nennen dieses Syndrom. Ich weiß nicht, ob das nur eine Art Einbildung ist. Worauf es mir ankommt, ist, wie die Menschen es benutzen, um eine symbolische Heilung zu erlangen.

Die Furche: Der Film fußt sehr auf den schauspielerischen Fähigkeiten von Magaly Solier.

Llosa: Ich wusste von Anfang an, dass Magaly das Innenleben der Hauptfigur Fausta verstand. Sie sollte die Rolle aber nicht psychologisch anlegen, sondern sie in Augen, Körper und Seele erfassen. Das ist die schwierigste Aufgabe für eine Schauspielerin; denn die Ergebnisse fußen auf ihren Instinkten und ihrem unbewussten Verstehen des Lebens.

Die Furche: Peruanische Geschichte und Politik sind in Europa kein Thema. Hat der Goldene Bär auf der Berlinale 2009 dazu beigetragen, dass die Welt auf die Lage in Peru aufmerksam wird?

Llosa: Absolut.

Die Furche: Wie aber waren die Reaktionen in Peru?

Llosa: Der Film hat unsere Erwartungen weit übertroffen. Viele waren nicht nur über den Goldenen Bären überrascht, sondern auch darüber, dass es eine Krankheit gibt, an der Kinder als Folge des Guerillakriegs leiden. Damals wurde in Peru über ein Museum der Erinnerung diskutiert, die Position der Regierung dazu war sehr ambivalent. Der Goldene Bär hat mitgeholfen, die Debatte dazu neu und intensiv in Gang zu bringen sowie medial Aufmerksamkeit zu erregen. Schließlich hat die Regierung dem Museum zugestimmt. Der Film war auch in den Kinos ein riesiger Erfolg: 300.000 Besucher!

Die Furche: Hilft der Film bei der Vergangenheitsbewältigung?

Llosa: Insofern, als über die emotionale Last eines gebrochenen Landes nach dem Krieg geredet wird. Und obwohl das utopisch klingt: Der Film wurde als persönliche Suche nach Heilung und Erinnerung konzipiert.

Die Furche: In einem Gutteil des Films wird Ketschua gesprochen: Ist das ein politisches Statement?

Llosa: Der Film setzt das Singen und die Sprache Ketschua – neben anderen Elementen – als Symbole des Widerstands ein. Zu Beginn ist vom Wort, das im Körper eingeschlossen ist, die Rede. Andere Symbole sind die Kartoffel – ein sehr beladenes Nationalsymbol, die Mumie der Mutter, auch die Umwandlung der Grube für das Grab in ein Schwimmbecken usw. Aber auch ohne alles zu dechiffrieren, kann der Zuschauer den Film auf einer emotionalen Ebene verstehen.

Die Furche: Frauen sind oft die vergessenen Opfer der Kriege: Wollen Sie mit dem Film diesen Frauen eine Stimme geben?

Llosa: Das Erbe des bewaffneten Konflikts, die Menschenrechtsverletzungen, die Gewalt gegen Frauen, die Krankheit Angst, die Bedeutung der Erinnerung, das Verständnis des Todes in den Anden, Tradition versus Moderne und deren Widerstand gegen das Sterben, archaischer Glaube versus Wissenschaft: da sind Schichten – noch viel mehr fallen mir ein. Ein Film hat ja nicht nur eine Ebene. Jeder Zuschauer kann eine Handvoll Lesarten mitnehmen.

Die Furche: Rund um Peru sind linke Regierungen an der Macht, die – etwa in Bolivien – indigene Völker stärken. Wollten sie mit Ihrem Film etwas Ähnliches?

Llosa: Meine Absicht war es, Charaktere liebevoll zu entwickeln, aber gleichzeitig ohne Hintergedanken; mit Zutrauen, aber ohne Mystifikation oder Bevormundung. Eine fiktionale Welt, in der keine Guten und Bösen gibt, nur Menschen. Ich war nicht daran interessiert zu urteilen, sondern ihr Verhalten zu verstehen.

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