Hirngespinste, die vom Himmel fallen

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Der amerikanische Konzeptkünstler Lawrence Weiner verwandelt das Kunsthaus Bregenz in ein riesiges Buch. Vollgeschrieben mit Buchstaben, die bedeutungsvoll aufgeladene Skulpturen sind.

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Der amerikanische Konzeptkünstler Lawrence Weiner verwandelt das Kunsthaus Bregenz in ein riesiges Buch. Vollgeschrieben mit Buchstaben, die bedeutungsvoll aufgeladene Skulpturen sind.

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Für Lawrence Weiner ist die Kunst nicht mehr als eine Idee, ein "Hirngespinst". Wer es ausführt oder ob es überhaupt realisiert wird und wenn, in welchem Format, ist dem 74-jährigen New Yorker Konzeptkünstler, der sich allerdings als Bildhauer versteht, relativ egal. Denn seine Skulpturen sind ephemär, gegossen in Worte, die riesig oder auch winzig sein können. Die, die er auf die Wände des Bregenzer Kunsthauses geschrieben hat, sind jedenfalls sehr groß. Da steht bereits im Eingangsgeschoß in einer eleganten Geste kurvig vor eine weiße Wand in gesetzten blauen bzw. gelben, schwarz gerahmten Lettern der Satz: "build up with stones fallen down from the sky" sowie "aufgebaut mit vom Himmel gefallenen Steinen".

Die Botschaft ist eine individuelle

Die Botschaft ist wie die, die der Künstler in den oberen auf die Sichtbetonwände der Zumthor'schen Architektur nach seinen Vorstellungen schreiben ließ, einigermaßen irritierend. Nehme man diese Sätze wörtlich oder vermute man dahinter gar eine metaphorisch aufgeladene Bedeutungsebene, sei man allerdings auf dem Holzweg, warnt Weiner. Gäbe es doch keine Botschaft, das, was man hier sehe, sage ausschließlich das, was es dem jeweiligen Betrachter sage. Und das sei - wie bei jedem guten Kunstwerk - sehr individuell.

Für den 1942 in New York geborenen Lawrence Weiner sind Buchstaben das für ihn ideale Material, um in einem vehement physischen Sinn das Verhältnis von Skulptur, Raum und Mensch auszuloten. Seine Arbeiten sind in ihrer konkreten Lesbarkeit mit Inhalten aufgeladen, sie schlagen den Bogen vom rein Sinnlichen zum Rationalen. Das macht die Kunst des gelernten Sprach-Philosophen zu etwas sehr Speziellen, wunderbar Zwittrigen, das mehr Fragen stellt, als Antworten gibt. Womit Weiner zu einem der Mitbegründer der Konzeptart wurde, präsentiert u. a. 1972 bei der Biennale von Venedig, zwei Kasseler documentas oder bei einer großen Retrospektive im Stedelijk Museum von Amsterdam, wo er teilweise auf einem Boot lebt.

"Wherewithal -was es braucht" nennt Lawrence Weiner seinen Bregenzer Auftritt, bei dem er das Kunsthaus in ein riesiges "Buch" verwandelt. In ein zweisprachiges, mag der Künstler doch das Spiel mit dem Ungleichen, das das Gleiche bedeutet. Weshalb er alle seine Sätze immer in Englisch bzw. in der jeweiligen Landessprache, wo die Arbeiten präsentiert werden, formuliert. Würden doch erst dadurch die Dinge optische "Würde" erhalten, so Weiner. Würde man verstehen, dass "es etwas vor dem Wort gab".

Der Künstler scheut das Plakative nicht

Für die Choreografie seiner Wortskulpturen im Bregenzer Kunsthaus hat Weiner sich von Geysiren inspirieren lassen. Gefällt dem prinzipiell Unangepassten doch die Idee, durch eine kleine Öffnung Druck abzulassen, das ans Tageslicht zu befördern, was unterirdisch kocht. Was in der Natur funktioniert, transformiert Weiner in die Ebene der Kunst. Das sei durchaus idealistisch, wie er zugibt, aber das sei schließlich die eigentliche Aufgabe von Kunst! Kunst, die auf diese Weise entsteht, ist subversiv politisch aufgeladen. Sie ist lesbar für alle, die sich auf diese Art poetisch verpackter Botschaften einzulassen bereit sind, um darüber nachzudenken, was in einer zunehmend auseinanderdriftenden Gesellschaft wirklich existenziell ist. Denn was Lawrence Weiner nicht sein will, ist ein gefälliger Bebilderer, ein oberflächlicher Kommentator, ein Unterhalter mit den Mitteln der Kunst.

Und doch scheut er das Plakative nicht. Die Buchstaben, die er direkt auf die Wände setzt, sind immer in Großbuchstaben geschrieben, was ihre Signalwirkung noch unterstreicht. Zelebriert als aufregendes Spiel mit Inhalten und Formen genauso wie mit der Architektur, deren Statik er reizvoll durch seine markanten Zeichen verwandelt. "Steinmassen, die das Nachtlicht abschotten", "Herunter" und "Hinauf" oder "Die Brocken obenauf zerrissen und gespalten" ist u.a. in langen, teilweise aufbzw. absteigenden und raffiniert intern vernetzten Friesen in den oberen Geschossen zu lesen. Die Schriftgrößen werden Stock für Stock immer größer, um ganz oben wieder zu schrumpfen.

Lawrence Weiner bis 15. Jänner, Kunsthaus Bregenz Di-So 10 bis 18 Uhr, Do bis 20 Uhr www.kunsthaus-bregenz.at

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