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Franzobel-Erstaufführung beim Niederösterreichischen Donaufestival.

Joseph II., Sohn Maria Theresias, war Aufklärer und Rationalist. Er schaffte die Leibeigenschaft und die Folter ab und baute 1784 mit dem Wiener Narrenturm das erste psychiatrische Krankenhaus Europas. Erstmals tauchte der Gedanke auf, Geisteskranke könnten geheilt werden. Die Wirklichkeit entsprach freilich dem damaligen Stand der Medizin. Das Tollhaus war eine reine Bewahrungsanstalt, in der die "Unvernünftigen" in Ketten gehalten und grausamen "Therapien" ausgesetzt wurden. Nach 1866 diente der Narrenturm als Schwesternwohnheim und Depot für Universitätskliniken, heute befindet sich darin die größte pathologische Sammlung der Welt. Den oberösterreichischen Autor Franzobel inspirierten Geschichte und schauriger Inhalt des desolaten Gebäudes auf dem Gelände des alten Wiener Allgemeinen Krankenhauses zu seinem neuen Stück "Narrenturm", das nach der Uraufführung im Jänner in Düsseldorf in Berlin und nun auch beim Niederösterreichischen Donaufestival in der Alten Werft Korneuburg zu sehen war. Nächste Station: Bochum.

Komponist Christoph Coburger, der bereits des öfteren mit Franzobel gearbeitet hat, führte hier auch Regie und stiftet Verwirrung. Offensichtlich hat er den Text als eine Art Partitur der Befindlichkeiten gelesen. Seine Inszenierung entdeckt eine gewisse Musikalität des Textes und bietet vokalmusikalische Momente, Charaktere gibt es kaum. Die Substanz geht in der Überbetonung der Form verloren. Dabei wäre sie vorhanden. Franzobel hat einen Text geschrieben, in dem allen alles gerade passiert. Und seine Figuren erzählen gleichzeitig davon. Sie sind die Ausformungen eines multiplen Bewusstseins, das des Josephs II. Zugleich sind sie alle, auch Joseph, Bewohner des Narrenturms. Als solche wären sie auch voneinander abgrenzbar. In Coburgers Inszenierung spielen fünf Schauspieler acht Figuren. Die Doppelrollen sind nicht erkennbar.

Autistisch in sich versunken und vor sich hin redend wirken sie wie die Gestalten aus Adolfo Bioy-Casares Roman "Morels Erfindung": Sie sehen aus wie Menschen. Sie reden wie Menschen. Doch sind sie nicht aus Fleisch und Blut. Sie lagern in kunstvoll verwahrloster Kleidung auf einer den Bühnenraum begrenzenden Holzbank und den Schaumstoffmatten auf dem Boden (Bühne/Kostüme: Sabine Mader), erzählen Geschichten von tödlichen Krankheiten, Selbstmorden, Phobien.

Für ihre Gedankenwelten gibt es zum Teil historische Vorbilder. So Maria Theresia, die "Moralistin und eierlegende Bienenkönigin" zum Beispiel, sie wird von Klaus Zwick gesprochen, der zugleich auch der Aktionist Schwarzkogler ist. Dann gäbe es noch Ahab (Christian Wittmann), den "Kapitän auf dem Narrenschiff" oder einen "weiblichen Casanova" (Juliane Werner), der sich über den Wiener Kunstbetrieb mokiert, eine Pathologin (Meike Schlüter), die unsichtbare Besucher durch das Museum führt und als Figur kombiniert ist mit Josephs lesbischer Frau Isabella. Der Kaiser (Elfie Elsner) ist übrigens auch eine Hausmeisterfigur. Das alles muss man als Zuschauer erst einmal in einen Zusammenhang bringen.

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