Je „geweihter“, umso populärer

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Thema: Volksfrömmigkeit?

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Thema: Volksfrömmigkeit?

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Der frischgebackene Kaplan sollte in die Tiefenstruktur des Brigittenauer Katholizismus eingewiesen werden. „Du wirst dich vielleicht wundern“, erklärte mir der Pfarrer, „wie viele Menschen zum Palmsonntagsgottesdienst kommen werden. Aber die wollen noch die gesegneten Palmzweige und ab dann geht es ab in den Garten. Bei der Allerseelenmesse sind dann viele wieder da.“

Von wegen Ostern, höchstes Fest des Jahres, dachte ich bei mir ein wenig enttäuscht. Aber so ist es mit der „Volksfrömmigkeit“. Sie schlägt der ordentlichen Seelsorge und erst recht der hohen Theologie oft ein Schnippchen, macht sich ihren eigenen Reim auf die Dinge und zieht ihre eigene Spur. So hat sie nicht selten auch etwas Anarchisches. Sie gehört eben dem „Volk“, und die Religionsfunktionäre tun sich schwer mit ihrer Zähmung. Da leben Anschauungen, Vorstellungen und Bräuche weiter, die offiziell längst überwunden und durch den neuen Glauben abgelöst sein sollten. Da wird Wert gelegt auf Dinge, die offiziell als nicht so zentral angesehen werden oder nur Hilfsmittel zum Verständnis des bedeutsameren Kerninhaltes sein sollten. Meistens, je sinnlich fassbarer, aber auch je „geweihter“, umso populärer. Waren es früher überwiegend Reste aus den offiziell durch die „neue Religion“ abgelösten bzw. verdrängten Traditionen, die munter weiterlebten, so kommen jetzt auch Elemente anderer Religionen oder Quasi-Religionen zum Zug. Paul M. Zulehner sieht den heutigen Menschen als regelrechten „Religionskomponisten“, der sich gerne selbst zusammenbaut, woran er glauben will. Nicht leicht zu ertragen manchmal das alles für die feinen Magennerven offizieller Theologien. Aber immer eine Herausforderung, sich mit dem Denken und Fühlen des Menschen auseinanderzusetzen, der ja angeblich auch bei den Religionen und Kirchen im Mittelpunkt steht.

* Der Autor ist Pfarrer in Probstdorf und Universitätsseelsorger

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