Jedermanns kleinbürgerliche Ehe

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Jan Bosse verhunzt Edward Albees "Wer hat Angst vor Virginia Woolf" am Wiener Burgtheater - trotz wunderbarer Schauspieler.

Eigentlich wäre Jürgen Goschs Inszenierung von Goethes "Faust I und II" auf dem Spielplan des Burgtheaters gestanden. Weil aber der Regisseur schwer erkrankte, musste schnell Ersatz gefunden werden. Der 1969 in Stuttgart geborene Jan Bosse, der in der vorletzten Spielzeit ebenda mit einer furiosen Inszenierung von "Viel Lärm um nichts" debütierte, ließ sich dem Vernehmen nach zwar etwas bitten, sagte schließlich aber doch zu, die Mutter aller Eheschlachten, Edward Albees "Wer hat Angst vor Virginia Woolf" in der gebotenen Eile auf die große Bühne zu wuchten. Die relativ kurze Probenzeit bleibt an Bosses Inszenierung allerdings nicht unbemerkt.

Gut, besser, am besten bestialisch

Das 1962 uraufgeführte Skandalstück gilt als sogenanntes well made play: Klassisch im Zuschnitt, mit wenig Personal, wahrt es die Einheit von Ort, Zeit und Handlung. Das Ehedrama, das durch die Verfilmung mit Elisabeth Taylor und Richard Burton 1966 Weltberühmtheit erlangte, spielt bekanntlich in einer einzigen Nacht im Wohnzimmer einer Dozentenwohnung der Universität von New Carthago. Das in die Jahre gekommene Paar, der Geschichtsprofessor George und die Rektorstochter Martha, sind vom Leben schon eigentlich des- illusioniert, ihre Ehe ist kaputt und leergelebt. Um gähnender Langeweile, Lebensfrust und -unlust nur irgendwie zu entkommen, haben sich die kinderlos gebliebenen Eheleute ein grausames Spiel ersonnen. Einem Ritual gleich, saufen sie sich allabendlich gehörig an, den Weltschmerz zu betäuben, um sich gegenseitig umso hemmungsloser zur Sau zu machen, wobei die Perfidie darin besteht, die Dosen an Boshaftigkeiten immer weiter zu erhöhen, damit die auch ja die beabsichtigte, verletzende Wirkung nicht verfehlen.

Christiane von Poelnitz, mit grau gesträhnter, pechschwarzer Lockenperücke an die ältere Liz Taylor erinnernd, spielt die Martha als verlebte, trinkfeste, laute und ordinäre Mittelstandsmatrone, der keine Verletzung zu grob, keine Beschimpfung zu giftig ist, um ihrem Gatten, dem erfolglosen Geschichtsprofessor, die Verachtung entgegenzuschreien.

In Bosses Inszenierung tritt das Pärchen, von einer Party beim übermächtigen Rektor kommend, schon ziemlich angetrunken, durch einen der beiden Mittelgänge des hell erleuchteten Parketts auf. Nachdem sie ihre Kampfarena eigenhändig in Position geschoben haben, wird die Steigerungsform dieses Ehelebens durchbuchstabiert: "Gut, besser, am besten bestialisch." Der Bühnenbildner Stéphane Laimé hat sich für diese Arena einen Ikea-Schauraum ausgedacht, ein unbewohnbares Wohnzimmer, das nicht gerade dem Werbespruch der Schweden entspricht: "Tauch ein in deine Wohlfühllandschaft zu Hause." Ein Dutzend Sofas und Fauteuils, einige Regale, die statt von Büchern von einer Hundertschaft Whiskeyflaschen oder kubischen Pappkartons in Rot und Grün geziert werden, eine Fotografiensammlung in Petersburger Hängung und unzählige Leuchten, als gelte es die Herzen der Finsternis so richtig auszuleuchten.

Als ein jung vermähltes Pärchen zum erwarteten Besuch eintrifft, hat das Wohnzimmerehekriegsspiel schon einen ersten Höhepunkt erreicht: "Leck mich am Arsch!" Nick und Putzi wirken wie zwei Puppen aus dem Hause Mattel: Katharina Lorenz als blonde Barbie verknotet erst tugendhaft die Knie, gluckst und kichert sich dann besoffen über allerlei Gemeinheiten hinweg oder kotzt, was ihr bulimischer Körper hergibt. Markus Meyer als ehrgeiziger Jungbiologe ist ein mit Schaumstoff künstlich aufgepeppelter Athlet inklusive Waschbrettbauch. Meist steht er breit grinsend in der Wohnlandschaft herum, die Hände tief in den Hosentaschen versenkt, oder er hält sich verlegen am Whiskeyglas fest, das ihm der Hausherr in immer neuen Varianten nachfüllt. Die alkohol- und hassgetränkte Ehehölle der Alten wird bald auch die Jungen verschlingen.

Jan Bosse kann in seiner Inszenierung auf wunderbare Schauspieler zurückgreifen. Das ist zwar schön, aber gleichzeitig das Problem dieser Inszenierung. Es scheint nämlich, als hätte er ganz auf deren Wirkung vertraut und dabei so ziemlich auf die Regie vergessen. Man spürt förmlich die Lust am Spiel, der wohl die fast heitere Stimmung geschuldet ist.

Alles nur Spiel, alles nicht so ernst

Joachim Meyerhoff schließlich gibt den Geschichtsprofessor George als etwas zerzausten, stets ironisch lächelnden, leisen, fast distanziert agierenden Pantoffel-Krawallo, der mit subtiler Eleganz die Giftpfeile Marthas pariert und mit chirurgischer Präzision das junge Pärchen peinigt. Dieser George leidet nicht. Er kämpft auch nicht. Er ist so kalt, dass nicht einmal das Eis schmilzt, das er in seiner Hosentasche trägt, um den Whiskey, aber nicht die Stimmung zu kühlen. Durch seine häufigen Gänge ins Parkett wirkt er eher wie ein unbeteiligter Erzähler, er moderiert sein Ehefiasko wie ein Fernsehpfarrer, er ist kein in den existentiellen Paarkrieg involvierter Kämpfer. Noch am Ende - Martha ist mit dem virilen Biologen zwecks Austauschs nicht alkoholhaltiger Flüssigkeiten ins Nebenzimmer verschwunden - zerlegt er mittels Kettensäge in aller Seelenruhe das Wohnzimmer in seine Einzelteile, wie vordem das Leben, die Ehe, die Erinnerungen, die Träume. Alles ist Spiel, alles ist nicht so ernst, auch der Konflikt nicht.

Gelungenes Schlussbild

Bosses Vorliebe, das Theater als Theater auszustellen, verfängt für einmal nicht. Wenn alles nur Spiel und Mummenschanz ist, fehlt dem Stück der Konflikt, seinen Figuren die Ambivalenz. Es ist aber konstitutiv für Albees meisterhafte Dramaturgie, dass sich Verzweiflung mit Triumph, Sehnsucht mit Versagen, Gemeinheit und Zärtlichkeit abwechseln, dass Wahrheit in Lüge, das Spiel abrupt in den Ernst des Lebens umschlagen kann. Seine Figuren sind keine Zerrissenen, die hoffen, dass alles anders wird, um im nächsten Moment entsetzt zu erkennen, dass nichts mehr hilft.

Zum Schluss gelingt Bosse allerdings ein wunderschönes Bild: Als der imaginäre Sohn, den sich Martha und George als letzten Kitt für ihre Ehe ausgedacht haben, auch noch zur Strecke gebracht ist und keine Steigerung im gegenseitigen Vernichtungskrieg mehr möglich scheint, wird das verwüstete Wohnzimmer in den Bühnenhintergrund gedreht. Wie ein riesiger Eiswürfel steht es da, und wo es stand, klafft für einige Sekunden ein riesiges schwarzes Loch. Auf einmal fährt aus dem Bühnenboden einfach ein neues, völlig identisches Wohnzimmer hoch. Lichter an, auf zum nächsten Exzess. Ein Bild für die Wiederholung der Wiederholung im Winter von Jedermanns kleinbürgerlicher Ehe. Und wir amüsieren uns zu Tode an diesem Lärm um Nichts.

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