Joschka Fischers erzählte Geschichte

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"Joschka und Herr Fischer“: Der Dokumentarfilmer Pepe Danquart porträtiert den deutschen Außenminister a. D.: Oral History - 140 Minuten lang, aber kurzweilig.

Vom Sponti zum Staatsmann: Die politische Karriere des Joschka Fischer ist von vielen Auf und Abs und mehreren Brüchen gekennzeichnet - darunter etliche gescheiterte Ehen.

Aber die Beziehungssachen des Ex-Politikers sind gerade nicht das Thema, um das Pepe Danquarts Geschichtsstunde mit Herrn Fischer kreist: Der deutsche Dokumentarfilmer hat das grüne Ausnahmetalent vor seine Kamera geholt und lässt ihn und wenige andere zwei Stunden und zwanzig Minuten lang erzählen - wie aus dem kleinen Maxi von damals einer wurde, der dem kleinen Maxi von heute die Welt erklären kann (und dies auch lustvoll tut).

Marsch durch die Institutionen

Ein wenig gar hagiografisch, so hat die eine oder andere Kritik das Unterfangen des Oscar-Preisträgers Pepe Danquart, abgetan. Als "Sieger-Fabel der Protestgeneration“ bezeichnete der Spiegel den Film "Joschka und Herr Fischer“, und das trifft die Sache viel besser: Denn aus dem einstigen außerparlamentarischen Oppositionellen wurde einer, der sich die Ochsentour "Marsch durch die Institutionen“ vornahm - und sie auch meisterte. Dass dieser Mann ob des Höhenflugs der Grünen in Deutschland längst zum heimlichen Kanzlerkandidaten hochgeschrieben wird, war zur Drehzeit des Films kaum absehbar.

Aber dass er im Film wie auch in Aussagen seither bestreitet, nochmals in die Politik zurückzukehren, kann man "Herrn Fischer“ getrost abnehmen, auch wenn Druck oder Versuchung dann doch zu groß werden könnte …

Pepe Danquart gelingt es, einen Homo politicus besonderer Art hervorzukehren. Schon allein das sollte ihm und seinem Film angerechnet werden: Der Regisseur stellt seinen Protagonisten in eine Fabrikshalle, lässt ihn vor Projektionen aus seinem politischen Leben stehen - und vor allem erzählen. Das ist auch die größte Gabe, die an Joschka oder an Herrn Fischer da offenbar wird. Zweifelsohne wird hier ein subjektives Narrativ ausgebreitet - aber dennoch keine Geschichtsklitterung.

Ein "Original“ spricht

Man muss sich schon ein "Original“ vorknöpfen, um zu verstehen, wie aus der staatskritischen bis tatsächlich staatsfeindlichen Bewegung rund um die 68er so etwas wie Staatsträger werden konnten - doch niemand regte es anno 1998 auf, als Rot-Grün auf Bundesebene in Deutschland Wirklichkeit wurde und Joschka als Herr Fischer ins Auswärtige Amt einzog.

Damals war vom "Turnschuhminister“ keine Rede mehr: 1985, Fischer übernahm da als erster Grüner ein Ressort in einem Bundesland (Umweltminister in Hessen), war er zur Vereidigung in Sneakers erschienen - eine Pose, die für den Realo schon damals nicht ganz nach eigenem Gusto war. Aber Fischer hatte der linken Basis wie der rechten Politik im Lande jeweils Tribut zu zollen: Ausgerechnet ein Grüner focht 1999 den ersten militärischen Einsatz der Bundeswehr außerhalb Deutschlands durch (im Kosovokrieg), auf dem entsprechenden Parteitag wurde der Minister von einem Farbbeutel getroffen und verletzt. Solches durchzustehen, verlangte Stehvermögen: Der begnadete Rhetor nahm nicht nur die Parteitagsmehrheit damals für sich ein, sondern es gelingt ihm Nämliches beim Betrachter des Films von Pepe Danquart.

Der Vorwurf der Hagiografie ist vielleicht auch der Methode Danquarts geschuldet, keine expliziten Fischer-Gegner vor die Kamera zu holen. In mehreren Exkursen kommen aber Zeitzeugen aus der APO-, der Anti-AKW- oder der Friedensbewegung zu Wort. Am eindrücklichsten ist einmal mehr Daniel Cohn-Bendit, der im Zweifel letztlich immer vor der Karriere in der ersten politischen Reihe gekniffen hat. Danquart meinte zu seiner Methode, er sei gegen die "fadenscheinige Behauptung“ von Objektivität: "Der eine sagt A, der andere, der Gegner, sagt B … Das führt zu nichts.“

Auch ein politisch Getriebener

Man kann dieser Argumentation viel abgewinnen, zumal auch die Konflikte Joschka Fischers nicht zuletzt bei den Grünen sehr wohl dargestellt werden. Und auch das heikelste Thema dieses turbulenten Lebens bleibt nicht ausgespart: Der Grat zwischen außerparlamentarischem Widerstand und dem Abgleiten in den Terrorismus à la Rote-Armee-Fraktion, der Deutschland in den 70er-Jahren an den Rand einer Staatskatastrophe brachte, war sehr schmal. Dass Joschka Fischer nicht in diesen Weg geschlittert ist, war - so auch seine selbstkritische Reflexion im Film - längst nicht ausgemacht.

Dass er aber bloß ein zielstrebiger Machteroberer von der linken Basis zum nur mehr halblinken Minister war, kann der Protagonist glaubhaft entkräften. Nein, kein mit allen Wassern gewaschener Fuchs kommt einem in "Joschka und Herr Fischer“ entgegen, sondern über weite Strecken auch ein politisch Getriebener. Das lässt ihn ehrlicher wirken als manche allzu glatte Figur der Zeitgeschichte. Nochmals: eine Geschichtsstunde. Und was für eine kurzweilige!

Joschka und Herr Fischer

D 2011. Regie: Pepe Danquart. Mit Joschka Fischer, Daniel Cohn-Bendit, Katharina Thalbach, Roger de Weck. Filmladen. 140 Min.

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