Kindesmisshandlung und die Leistungsgesellschaft

Werbung
Werbung
Werbung

Die deutsche Dramatikerin Felicia Zeller hat ein Stück über ausgebrannte Sozialarbeiterinnen geschrieben: "Kaspar Häuser Meer", derzeit zu sehen im Kasino am Schwarzenbergplatz.

Das Papier raschelt, bedeckt Drucker und Kopiergeräte, Computer und Telefonapparate. Aus den Aktenbergen der Bürokratie krabbeln drei Sozialarbeiterinnen heraus: Barbara (Barbara Petritsch), gealterter Hippie mit Südseeträumen, Anika (Adina Vetter), pedantisch korrekte und alleinerziehende Mutter, sowie Silvia (Alexandra Henkel), die früher einmal Schauspielerin war und die Aufgabenbereiche des ausgebrannten Leiters Björn übernimmt.

Felicia Zeller, 38-jährige Dramatikerin aus Stuttgart, hat aus ihrem Auftrag, fürs Freiburger Theater ein Stück zum Thema "Kindesmisshandlung" zu schreiben, ein Drama über das Burnout von Sozialarbeiterinnen gemacht. "Kaspar Häuser Meer" nennt sie ihren verbenarmen und dennoch wortreichen Text, der hektisch durch konkrete Fälle mäandert, bis nicht einmal mehr Zeit für Partizipien bleibt. Wo Kindesmisshandlung passiert, da setzt die Sprache aus, denn das Unaussprechliche muss unausgesprochen bleiben. Bei Zeller werden die betreuten Kinder zu den tragischen Leerstellen wortreichen Berichtswesens.

Genau hier setzt Zellers Kritik an: Es ist nicht allein die - naturgemäß - psychische Belastung, die die Spirale der Überforderung antreibt, sondern die Abwälzung der Verantwortlichkeiten eines höchst bürokratischen Systems. Die Betreuung der Betroffenen, die soziale Arbeit wird immer unwesentlicher, in den Vordergrund rücken die Zahlen, die stimmen müssen. Jahresberichte, Statistiken - die Jugend- und Sozialamtsleitung braucht positive Ergebnisse.

Zeller deckt systematisch den Spagat unserer Leistungsgesellschaft auf, der sich irgendwann einfach nicht mehr ausgeht. In Tina Lanik hat sie eine Regisseurin gefunden, die sich auf den Text konzentriert und zurückhaltend die drei Schauspielerinnen als "Heldinnen der Fürsorge" führt. Jede für sich kämpft, bis sie gemeinsam an der Frage zerbrechen: "Was soll ich denn unternehmen? Ich bin doch kein Unternehmer!"

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung