Kleine Götterdämmerung oder: Lustig samma, Puntigamer

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Zwei junge Bayern verheizen Vincenzo Bellinis „La Sonnambula“ an der Grazer Oper als schräges, klischeebeladenes Österreich-Psychogramm. Einmal mehr Anlass zu fragen, ob es nicht längst wieder avantgardistisch wäre, Opern ganz konventionell so zu zeigen, wie sie gedacht sind.

Am Anfang spielt das Grazer Philharmonische Orchester die Bundeshymne (nicht von Bellini!), dazu tanzt eine russische Artistin ohne Netz auf dem Hochseil. Dann erst zeigt sich ein Grazer Ballettsaal, in dem groteske Damen und Herren in Tutus und Sportjacken auf den Notariatsakt warten, mit dem Elvino Amina seinen Besitz überschreibt. Die Chefin im Saal, Lisa, workt als Putzfrau und giftet das ausgelegte Brautkleid Aminas an. Amina erscheint, ein furchtsames Waisenkind, an der Hand ihrer beherzten Ziehmutter. Elvino in Krachlederner bekommt gar den leibhaftigen Bundesadler als Brautführer.

Den Initiationsakt stört ein Fremder: Der Feudalherr ist’s, der offenbar aus der Emigration nach Graz zurückgekehrte Herr Graf – in Sigmund-Freud-Maske, begleitet von der berühmten Freud-Couch. Er entdeckt unter den Hochzeitsgeschenken ein Papiertheater, das die Marienstatue vom Eisernen Tor in der NSDAP-Jubelummantelung von 1938 darstellt. Später an diesem leicht befremdlichen, leise launigen Abend werden alle Grazer ihre Hände in Unschuld waschen, wird Lisa an der zum Pranger umfunktionierten Säule durch Selbstmord „heimgedreht“ sein. Da bleibt nicht mehr viel zu tun: Amina entzieht sich der Heirat mit dem als Kaiser Franz Joseph verkleideten Elvino und zündet zum Schrecken der Österreich-Ikonen Maria Theresia, Prinz Eugen, Mozart, Schubert, Strauß-Schani, Nitsch, Hansi Hinterseer, Meinl-Mohr und Jelinek die Stadt an. Götterdämmerung. Vorhang.

„Tu felix Austria nube“

Als weitere Regie-Einfälle glänzen: Ein Bauerntheatervorhang unter dem Motto „Tu felix Austria nube“. Der sich betrogen fühlende Elvino besäuft sich mit dem Bundesadler mit „Lustig samma, Puntigamer“. Die zweite Schlafwandel-Szene findet auf einem Seil statt, das vom vergoldeten Uhrturm zu besagter Mariensäule gespannt ist.

Ach ja, musiziert wird in der Grazer Oper schon noch. Die junge französische Dirigentin Ariane Matiakh erinnert in ihrer ungewohnten Zeichengebung an ihren Lehrer Seiji Ozawa, setzt auf feinere dynamische Abstufungen und moduliert die unzähligen nicht enden wollenden Holz- und Blechbläsersoli ganz im Sinne Bellinis.

Anna Siminska, die Amina, ist eine junge Polin mit ersten Erfolgen als Königin der Nacht an der Wiener Staatsoper. Ihre leichte Soubrettenstimme ist höhensicher, aber ohne Italianità. Schon belcantistischer, freilich mit noch enger Höhe, gestaltet der Australier Paul O’Neill den schlaksigen Elvino. Untergewichtig ist der italienische Jungbassist Luca Dall’Amico in der Rolle des Grafen Rodolfo. Schöne Koloraturketten windet Hyon Lee als Lisa. Vokale Gelenkigkeit liefert David McShane als Zeremonienmeister Alessio.

Bleibt noch die grundsätzliche Sinnfrage: Wie unkonventionell soll Musiktheater heute zubereitet werden? Wäre es nicht geradezu avantgardistisch, würfe man die seit 30 Jahren grassierende Konvention des Unkonventionellen auf den Kompostierhaufen der Theatergeschichte und vermittelte man statt der Surrogate wieder die Originale? „La Sonnambula“ käme sogar ohne Elefanten aus …

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