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Das Kunsthaus Wien zeigt die erste große Retrospektive von Lucien Clergue in Österreich.

Der Künstler ist von Geburt an komplex und versucht sein ganzes Leben lang zu vereinfachen, und der Amateur ist einfach geboren und versucht alles zu verkomplizieren." Auf welcher Seite Lucien Clergue bei dieser Diagnose eines Kollegen aus jungen Jahren steht, war ihm wohl immer schon klar. Dafür sorgte bereits seine Mutter, die ihn quasi von Geburt an für einen Künstler hielt und dementsprechend erzog. Für ein breiteres Publikum nachvollziehbar wird dies in der Retrospektive, die im Kunsthaus in Wien zu sehen ist.

Lucien Clergue wurde 1934 im südfranzösischen Arles geboren, wo die Eltern ein kleines Obstgeschäft betrieben. Der kleine Lucien lernte mit großem Talent Geige, besonders die klar strukturierten Sonaten von Bach hatten es ihm angetan. Aber die Idylle wurde gleich mehrfach unterbrochen. Die Eltern ließen sich scheiden, der Zweite Weltkrieg brach über die Heimatstadt herein und hinterließ Verwüstung. Das Obstgeschäft war verloren, Mutter und Sohn lebten fortan in einem feuchten Keller. Clergue gab Schule und Musikunterricht auf, um für den Lebensunterhalt zu sorgen. Als die Mutter stirbt, nimmt dies der 18-Jährige zum Anlass, die melancholische Seite der Gegend zwischen Arles und der Camargue fotografisch zu dokumentieren.

Freier Fotokünstler

Ursprünglich wollte er die Fotografie nur als Durchgangsstation zum Film sehen - einige Dokumentarfilme belegen sein diesbezügliches Talent -, schließlich bot ihm aber nur die Fotografie die Möglichkeit zu einem Schaffen ohne allzu viele störende Einflüsse durch Dritte. Seine künstlerische Freiheit war ihm so viel wert, dass er auch ein Angebot, für ein großes Modemagazin zu fotografieren, ablehnte. Stattdessen setzte er tote Tiere in Szene, ein ganzer Vogelfriedhof sollte es werden, und konfrontierte diese mit den Ruinen von Arles. Und bereits hier zeigt sich Clergues bestechendes Gefühl für eines der entscheidendsten Stilmittel der Fotografie, den Ausschnitt. Durchbrochene dunkle Wände geben den Blick frei auf einen dahinter liegenden helleren Teil, die Tristesse wird erträglich.

In den Fotografien aus den Sümpfen oder von einem überschwemmten Weinberg benützt Clergue den Spiegelungseffekt des Wassers, um die Weinstöcke zu einer bildzergliedernden grafischen Struktur zerrinnen zu lassen. Der von einem Gewitter zerfetzte Mais ragt in einen hellen Himmel, manche Blätter sind durchscheinend, abermals übernimmt die Grafie im Foto die Augenführung. Wenn Clergue sich dann explizit dem Wasser oder dem Sand als Objekt zuwendet, arbeitet seine Kamera derart malerisch und abstrahierend, dass es keine große Überraschung mehr darstellt, wenn das Malergenie Picasso von diesen Fotografien hellauf begeistert ist.

Mit den Malern verbindet ihn aber auch das eine oder andere Sujet. So die Serie über die Zigeuner und noch viel mehr jene über Harlekins, für die Clergue extra Kostüme schneidern ließ. Und gerade mit Picasso teilt er auch die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Stierkampf, jener Mischung aus männlicher Heldenbrunft und beinahe religiös zelebrierter Opfernotwendigkeit. Clergues Arbeiten frönen zwar dem Mythos, aber die wesentlich wichtigeren Aspekte fangen die Bewegung dermaßen in das statische Bild ein, dass der Eindruck entsteht, die Bewegung würde ungehemmt weiterlaufen.

Alle diese Abzüge erzählen vom unausweichlichen Tod, von jenem Tod, mit dem bereits Mitte des 19. Jahrhunderts Hippolyte Bayard die Fotografie als künstlerisches Medium definierte. Er musste nämlich die Berühmtheit des ersten Fotopioniers an Daguerre abtreten, obwohl auch er ein fototechnisches Verfahren erfunden hatte. Also machte er von sich ein Foto als Ertrunkener und zeigte damit, dass die Fotografie nicht einfach Wirklichkeit abbildet, sondern wie jede Kunst aus einem ganz spezifischen Blickwinkel heraus erzählt.

Aphrodite-Akte

Trotz der gewaltigen Kraft der Landschaftsfotografien bescherten Clergue wohl seine Aktfotos den größten Erfolg. Für viele der sich im Übergang von Wasser zu Land räkelnden Frauenkörper stand Aphrodite Pate. Clergue erzählt auch, dass er als junger Mann sein Taschentuch als Messinstrument benützte, um seine Modelle in eine Position zu bekommen, die den Idealen der griechischen Antike und der Renaissance entsprachen. Er kümmert sich vornehmlich um einen universalen Typus von Akt, daher sieht man auch kein Gesicht der Modelle, das bloß zu einem individualisierenden Zuordnungsvorgang führen würde. Und die menschlichen Körper schmiegen sich auch dermaßen an Wasser und Sand oder an abgestorbene Bäume an, dass sie Teil dieser Landschaft werden.

Seit den 80er Jahren setzt Clergue auch Farbfotografie ein, um seine Meisterschaft bei beinahe allen bisher aufgesuchten Sujets auch in diesem Medium darlegen zu können. Bis hin zu Doppelbelichtungen führt ihn dieses Ansinnen, in denen er seine Akte oder Stierkämpfe über Werke alter Meister legt, womit sich einmal mehr der Kreis zur Malerei schließt.

Lucien Clergue, Magie & Mythos

Der Dichter mit der Kamera

Kunsthaus Wien

Weissgerberstraße 13, 1030 Wien

www.kunsthauswien.com

Bis 17. 2. täglich 10-19 Uhr

Katalog: Lucien Clergue, Magie

& Mythos, Wien 2007, 226 S., € 29,-

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