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Ich habe einen älteren Freund, dem ist infolge einer schweren Erkrankung der Geruchssinn abhanden gekommen. Nun erzählt er mir gerne von den Gerüchen, die er einst wahrgenommen hat, und indem er es tut, schärft er mir die Sinne für all das, was er nicht mehr riechen kann. Von allen Sinnen des Menschen ist es der Geruchssinn, der ihn am stärksten mit seiner Vergangenheit verbindet. Ein Strauch, in dessen Schatten wir als Kind gespielt, eine Speise, die wir lange nicht mehr gegessen, ein Haus, das wir eine Ewigkeit nicht mehr betreten haben - all das und mehr kann uns, wenn wir es wieder zu riechen bekommen, in jene Welt zurückversetzen, der wir längst entwachsen sind; Marcel Proust hat sein Romanwerk "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" auf dieser Erfahrung aufgebaut.

Nun haben wir die Gabe des Riechens von der Schöpfung oder der Evolution oder wem immer aber nicht erhalten, dass wir uns daran nur einfach erfreuen. Das weiß niemand besser als die Verantwortlichen des Morell-Laboratorium in Philadelphia, in dem seit Jahren an einer Stinkbombe gearbeitet wird, deren Wirkung ein paar Zehntausend Demonstranten auf einen Schlag bewusstlos macht. Der übelste Geruch der Welt soll in diese Bombe gefasst werden, die schon fast zur Serienreife gediehen ist. Sie besteht aus 27 Komponenten, und wer dieser Kombination ausgesetzt ist, wird zunächst von Brechreiz geschüttelt, sodann von würgender Atemnot gepackt und endlich von einer befristeten Lähmung erfasst. Die Waffentechnologen aus Philadelphia erklären es uns als großen Fortschritt, dass es mit den verschiedenen Typen der Stinkbombe bald nicht mehr nötig sein wird, den Leuten ein Loch in den Bauch zu schießen, um sie zu stoppen, sondern dass sie mittels einer Attacke auf ihr Riechorgan auf humane Weise um ihr Bewusstsein gebracht werden können.

Der Autor ist Schriftsteller und Literaturkritiker in Salzburg.

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