Krise der Männlichkeit

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Wenn ein so kritischer und international gefeierter Theatermacher wie Árpád Schilling in diesen Tagen ein Stück schreibt, wer wollte es da nicht als Parabel auf die Situation in seinem Heimatland Ungarn lesen. Tatsächlich sind die Parallelen in "Eiswind", das er im Akademietheater etwas brachial gleich selbst zur Uraufführung gebracht hat, durch Überdeutlichkeit nicht zu übersehen. Trotzdem würde man zu kurz greifen, das Stück nur als Parabel auf das Ungarn Viktor Orbáns sehen zu wollen. Vielmehr hat Schilling eine Radikalisierung im Blick, die weit beunruhigender ist.

Schauplatz ist eine schicke Holzhütte in den österreichischen Bergen unweit der ungarischen Grenze. Dort treffen zwei sehr unterschiedliche Familien, die eine aus dem Westen, die andere aus dem Osten, aufeinander. Da ist der Dozent Frank (Falk Rockstroh), ein kraftloser Salonlinker, der sich eitel darin gefällt, am Grab eines Freundes die Trauergemeinde mit einer Rede über die "Verführung durch die Schlange des Wohlstands" aufgerüttelt zu haben. Diesen verdankt er seiner aus reichem Hause stammenden Ehefrau Judith (Alexandra Henkel), einer eingebildeten und kapriziösen Chefredakteurin eines Lifestyle-Magazins. Gemeinsam haben sie einen Sohn, den orientierungslos gelangweilten, kiffenden Wohlstandsbubi Felix (Martin Vischer). Sie treffen auf die Ungarn, Illona (Lilla Sárosdi), die Mann und Kind (und möglicherweise auch die gesellschaftlichen Verhältnisse) Richtung Österreich verlassen hat und ihren Mann, der machistische, virile Polizist János (Zsolt Nagy). Er ist ihr nachgefahren, um sie zurückzuholen zum gemeinsamen Sohn, der in Ungarn ein Gymnasium zur "nationalen Verteidigung" besucht, gegen Leute, die sein "Vaterland besetzen wollen, durch Taten oder Gedanken", wie er stolz kundtut.

Autoritäres und devotes Verhalten

Als ein Sturm aufzieht, und ein ums Haus streichendes Rudel Wölfe eine Abreise unmöglich machen, errichtet die Zwangsgemeinschaft einen Maschendrahtzaun, dann kippt die Situation. Die Bescheidenheit der Ungarn sowie die Herablassung, mit der die Westler ihnen begegnen, verkehren sich jeweils in ihr Gegenteil. Allen voran erweist sich János als Mann mit autoritärem Durchsetzungsvermögen, der brutal nimmt, was ihm gefällt und auch nicht davor zurückschreckt, seine Frau den Wölfen zu opfern. Frank und Felix dagegen sind schwach und nur noch devote Befehlsempfänger.

Ohne Angst vor Stereotypen und überdeutlich in Symbolik und Rhetorik konstruiert Schilling eine Parabel auf die Situation Europas. Die Gründe für die Bruchstellen verortet er aber weniger in nationalistisch-chauvinistischen Fantasien. Die Krise Europas ist nach Schilling vor allem eine der Männlichkeit. Die Krise - so die These - macht vor allem sie für Radikalisierung empfänglich.

Eiswind

Akademietheater, 2., 8., 25. Juni

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