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Gelegentlich lese ich nach dem Besuch eines Konzertes oder einer Theateraufführung Kritiken verschiedener Zeitungen. Dabei lerne ich Überlegungen kennen, die ich noch nicht angestellt habe, oder bekomme einen Anstoß, einem Werk, einer Inszenierung auf originelleren als den eigenen Wegen nachzugehen. Verblüffend ist immer wieder, wie absurd gegensätzlich künstlerische Leistung beurteilt wird. Da beschwört einer den romantisch schwelgerischen Klang eines Orchesters, lobt die allerperfekteste Auslotung einer Komposition, und die gleichaltrige Kollegin schreibt im anderen Blatt, dass man diesen vermurksten Klangkörper noch nie in diesem desaströsesten Zustand erlebt habe und dass der Chefdirigent bitte rasantestens sein Dirigiersteckerl wegwerfen solle. Diese leidenschaftlich ausgeteilte Urteilskraft hat auch einen gewissen Unterhaltungswert, erst recht, wenn sie live erlebt wird.

Neulich, bei der Uraufführung von Peter Handkes Theaterstück Spuren der Verirrten, applaudierte das Publikum den Schauspielern des "Berliner Ensemble" etwas lustlos, dem im Wintermantel über die Bühne stiefelnden Autor hingegen recht herzlich zu. Ratlos standen Menschen anschließend im Foyer. "Der Sohn verflucht den Vater, die Nachbarn bekriegen sich, eine Frau klescht der anderen ihre Handtasche an den Schädel - das ist mir alles viel zu pessimistisch", knurrte ein Besucher, "wüsste gerne, woher der Handke dieses negative Weltbild nimmt!"

Aber schon trompetete uns eine beschwingte Dame mit Pelzmantel im Vorbeigehen zu: "War das nicht phantastisch? Mit welcher Fröhlichkeit, ja Leichtigkeit der Handke das macht! Und wie er am Schluss alles zum glücklichen Schweben bringt: War ja nur ein Spiel! Wunderbar, nicht?"

Der Autor arbeitet am Kulturforum der Österreichischen Botschaft in Berlin.

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