Demokratie sei das Antimodell zur autoritären Familie, sagte Maja Haderlap 2018 anlässlich 100 Jahre Republik. Am 3. Oktober erhielt sie den Christine Lavant Preis 2021. Auszüge aus der Laudatio.
Ein Kommentar zum Berliner TheatertreffenWenn der großartige Schauspieler Joachim Meyerhoff als Prinz Hamlet durch den Spiegelsaal jagt, um seinem Zorn gegen Schwiegervater, Mutter und Welt Luft zu machen, dann hat das diesjährige "Berliner Theatertreffen" seinen Höhepunkt gefunden. In Jan Bosses vierstündiger Inszenierung aus dem Schauspielhaus Zürich bemächtigt sich die tragische Titelfigur, mit Gewinn, des ganzen Stücks. Sogar die Rolle des Totengräbers lässt sich Hamlet nicht nehmen. Dabei ist dieser Dänenprinz gar nicht mehr so jung, keineswegs angekränkelt von Melancholien,
Auf dem Weg zu einem Konzert der Berliner Philharmoniker überlegte ich, in dieser Kolumne eine Liebeserklärung an Berlin zum Ausdruck zu bringen. Ich notierte: "B., eine Stadt, die gar nicht dazu kommt, sich als Stadt der Musik zu begreifen."In der Pause fragte mich eine Freundin, ob ich schon bemerkt habe, wie überaltert das Publikum in der Philharmonie sei. "In einigen Jahren wird diese Klassik-Kultur völlig verschwunden sein", sagte sie mitleidlos. Ich zählte ihr Orchester, Dirigenten, Konzert- und Opernhäuser, Ausbildungsstätten und die Orte der alternativen Musikszene auf um ihr
Ich weiß nicht, wer am 26. März 2007 bei dem Liederabend in der Berliner Staatsoper mehr gelitten hat, der Sänger oder das Publikum: Der völlig indisponierte Rolando Villazón sang Schumanns Dichterliebe, und wir, die nicht vor Glück mitzitternden Zuhörer, hatten bei jedem Lied nur die Sorge, dass die Stimme hoffentlich nicht in diesem Moment … jetzt … einen Knacks bekommt. Der mexikanische Tenor konnte einem leid tun. Die weiteren Konzerte der Tournee wurden abgesagt. Eine gute Entscheidung.Auch Anna Netrebko sagte neulich ein Konzert in Salzburg ab, auch Neil Shicoff kam nicht,
Er folgte seinen Tugenden Sparsamkeit und Ehrgeiz sowie dem Entschluss, ein Leben lang schwer zu arbeiten. Härter zu sein als die Härtesten und schlauer als die Schlauesten, das war schon früh seine Devise. Die erste Münze, die er als Kind verdient hat, hält er besonders in Ehren. Manche nennen ihn geizig, weil er sich zum Essen einlädt und die anderen zahlen lässt, weil er Leute, die für ihn arbeiten, mies entlohnt.Es gibt nichts, was Dagobert Duck so sehr liebt wie das Geld. Viele Fantastilliarden Taler befinden sich in seinem Geldspeicher. Gibt es denn etwas Schöneres für die
Weil ich des Gesumses, das die Protagonisten unseres politischen Alltags unermüdlich erzeugen, überdrüssig bin, habe ich neulich einen Entschluss gefasst, die Zeitungen abbestellt und Radio und Fernseher zur Sondermülldeponie geschleppt. Ich folge künftig einer wichtigeren Mission, blicke ab jetzt auf größere Horizonte.Es geht so einfach: man schreibt an die Deutsche Mondbotschaft, zahlt 30 Euro und 10 Euro Portokosten, und schon gehört einem ein 10.000 m2 großes Grundstück auf dem Mond. Per Mausklick und Bestellung abschicken besitze ich jetzt auf dem Erdtrabanten Grund und
Im mecklenburgischen Heiligendamm, einem weißen Kaff an der Ostsee, haben Geldmenschen Mitte der neunziger Jahre ein paar klassizistische Villen in ein luxuriöses Wellness-Hotel verwandelt. Hier treffen sich Anfang Juni die acht mächtigsten Regierungschefs der Welt, um gemeinsam über Klimaschutz, die ökologischen oder sozialen Fährnisse unserer Welt im Allgemeinen und die der Afrikaner im Besonderen nachzudenken. Die Hauben-Köche werden ihr Bestes geben, auch fürs "Familienfoto" ist gesorgt.Damit in die Plaudereien keiner dreinredet, haben die Deutschen einen zwölf Kilometer langen
Als wir am vergangenen Samstag nach den Staats-und Regierungschefs der Europäischen Union mitsamt ihren eifrigen Ministranten aus der Berliner Philharmonie wieder auf die Straße gelangt waren ("Es wird gebeten, am Ende des Konzerts auf den Plätzen zu warten, bis die Ehrengäste den Saal verlassen haben"), empfing uns Dunkelheit und eine Frühlingsnacht lag vor uns.Jetzt musste man sich entscheiden: Entweder nach Hause gehen oder sich vom Motto "Europa wird 50 - ein Grund zum Feiern" verführen lassen. Für das Jubiläum der "Römischen Verträge" hatte sich das deutsche Außenministerium
Gelegentlich lese ich nach dem Besuch eines Konzertes oder einer Theateraufführung Kritiken verschiedener Zeitungen. Dabei lerne ich Überlegungen kennen, die ich noch nicht angestellt habe, oder bekomme einen Anstoß, einem Werk, einer Inszenierung auf originelleren als den eigenen Wegen nachzugehen. Verblüffend ist immer wieder, wie absurd gegensätzlich künstlerische Leistung beurteilt wird. Da beschwört einer den romantisch schwelgerischen Klang eines Orchesters, lobt die allerperfekteste Auslotung einer Komposition, und die gleichaltrige Kollegin schreibt im anderen Blatt, dass man
Meistens glaubt man seine Nachbarn einigermaßen zu verstehen, zumal man schon eine Weile neben, oder in meinem Falle, mit ihnen lebt, und selbst wenn man nicht alle Einzelheiten ihres Selbstverständnisses begreift und die Details ihres Lebensplanes nicht kennt, so kann man sie doch im Grunde ihrer Seele verstehen. So glaubt man.Aber dann tritt etwas ganz und gar Unvorhergesehenes ein. Da ist zum Beispiel das geheimnisvolle Rätsel um den Fernsehmoderator Günther Jauch, der ab Sommer 2007 anstelle von Sabine Christiansen deren sonntagabendliche Diskussionsrunde zur Lage der Nation moderieren
Wenn ich in Berlin Österreichern, die in Deutschland leben, begegne, frage ich sie, ob sie oft und gerne "nach Hause" fahren, was sie mit diesem Land noch verbindet und was ihnen das bedeutet, was man so leichtfertig "Heimat" nennt. Seit mehr als dreizehn Jahren lebe ich nicht mehr in Österreich, und als ich gestern "Unter den Linden" von F. gefragt wurde, wie ich "Heimat" verstehe, erzählte ich ihr diese Geschichte.Am Bahnhof in Gmunden warte ich auf einen Zug nach Attnang-Puchheim. Es ist dunkel und kalt. Mit einem lauten Knall schlägt hinter mir die Toilettentür auf. Erschrocken drehe
Beim Durchsehen alter Zeitungen wundere ich mich, wie sich eine wahlgewinnende Partei wochenlang wie ein Tanzbär am Nasenring durch die Manege ziehen lässt und dabei so eine friedfertige Miene aufsetzen mag. Während sich eine abgewählte Fraktion dergestalt die Regierungszeit noch ein wengerl verlängert. Etwa um noch ein paar Personalentscheidungen zu erledigen.Auch in der deutschen Metropole wurde im Herbst gewählt, aber in Berlin, wo bekanntlich alles immer so wahnsinnig schnell geht, gibt es bereits eine neue Regierung. Der scheidende Kultursenator Thomas Flierl (PDS), der mit
Man kennt diese Szene: Wenn es ums Sparen in öffentlichen Haushalten geht, wird den Subventionskürzungen für Bildung, Wissenschaft und Kultur eine überproportionale Bedeutung beigemessen. Als ob die geringfügigen Einsparungen, die hier überhaupt noch möglich sind, was bringen würden.So auch in Berlin. Es war ein Hilferuf an die deutschen Bundesländer, dass man die 61,2 Milliarden Euro, die die Hauptstadt bis jetzt an Schulden aufgehäuft hat, gemeinsam abbauen hilft. Aber Berlin, von Adolf Hitler zerstört, sowohl durch die deutsche Trennung als auch seine Einheit wirtschaftlich
Der Blick in Biografien und Werklisten der sieben Preisträger sowie zehn Jurymitglieder dieses Literaturpreises macht einen bescheiden. Denn es sind durchwegs renommierte Autoren, die aus allen Sprachräumen und Kontinenten der Welt zu einem großen Fest der Literatur nach Berlin kommen. Und wir selbstverliebten Mitteleuropäer kennen nur wenige von ihnen.Der "Lettre Ulysses Award" ist der wichtigste und höchstdotierte Literaturpreis, der in der deutschen Hauptstadt verliehen wird, und es ist zugleich der einzige weltweit verliehene Preis für Reportageliteratur. Am 30. September wurde er
Die Wahlen in Deutschland liegen noch nicht einmal ein Jahr zurück. In diesem Zeitraum ist, schenkt man aktuellen Befragungen Glauben, das Ansehen der deutschen Regierung unter Bundeskanzlerin Angela Merkel noch schlechter geworden als das der rot-grünen Vorgänger-Regierung vor ihrer Abwahl.Erinnert man sich an die Vehemenz, mit der Bundeskanzler Gerhard Schröder und die rot-grüne Regierung vom Spiegel, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung aber auch von der Zeit und natürlich von der Springer-Presse weggeschrieben wurden, dann irritiert es mein naives politisches Gemüt, warum Merkels
Ende des letzten Jahres teilten uns einige Medienplauderer mit, dass ihnen das Mozart-Jahr 2006 jetzt schon auf den Geist gehe. Als dann im Mai Sigmund Freuds 150. Geburtstag gefeiert wurde, kamen einige der abgedroschensten Vorurteile gegen die Psychoanalyse wieder zum Vorschein. Rechtzeitig zum 400. Geburtstag des holländischen Malers schrieb die deutsche Tageszeitung Die Welt auf der Titelseite: "Rembrandt - Warum er ein unfähiger Maler war".Wer am Spott über Berühmte schmarotzen will, kann sich an jeder Wirtshausschank ereifern. Das Volksschüler-Schema: wir machen unsern Lehrer
Am Tag, an dem die Ferien beginnen, schlagen die Kinder die Schultüren hinter sich zu. Zu Hause schleudern sie ihre Schultaschen mit einem mehr oder weniger eleganten Wurf in die Ecke des Kinderzimmers, genauer gesagt an einen keineswegs eckenhaften Platz zwischen Bett, Tisch und Mistkübel. Das ist das Glück des ersten Ferientages. Es versteht sich von selbst, dass man die Tasche bis Anfang September nicht wieder öffnen darf, selbst auf die Gefahr hin, dass sich vom vorletzten Schultag noch ein angebissenes Butterbrot oder ein arg verschwitztes Turnleiberl darin befinden sollte.Zum
Woher haben die Autofahrer im Handumdrehen diese kleinen Fähnchen her, die plötzlich über den Dächern deutscher Autos flattern? Wer drapierte über Nacht die badetuchgroßen Deutschland-Flaggen an den Balkonen und Fenstern dieser Stadt? Wer schleppte, ohne dass wir es bemerkt hätten, all die Fernseher und Videobeamer in die Kneipen, damit die sportlichen Ereignisse den Besuchern sämtlicher Berliner Gaststätten ins Ohr gedröhnt werden?Die wichtigste Ausrüstung für diesen Berliner Sommer ist die Biertisch-Garnitur: ein Tisch, zwei Bänke, dazu ein Fernseher, Deutschlandfahnen
Ob ich Hubschrauber toll finde? Keine Ahnung. Wenn ich einen Hubschrauber höre, vermute ich Polizisten auf Verbrecherjagd, Schwerverletzte auf dem Weg ins Spital, der Terminkalender eines gehetzten Politikers fällt mir ein. Oder in den Bergen, da denke ich an Herzinfarkt am Klettersteig, an eine abgestürzte Kuh, die geborgen werden muss, oder an die Hüttenwirtin, die ihre Lebensmittel aus der Luft bekommt. Da finde ich es toll, dass jemand den Hubschrauber erfunden hat, dass der Kaiserschmarrn nach frischen Eiern schmeckt und da freut sich auch unser täglich Müll, dass er ins Tal
Sie sahen sehr gut aus, die etwas zu klein geratenen Stücke der Sachertorte, handgefertigt von der Wiener Konditorei "Aida", die täglich frisch ins Österreich-Café auf der Leipziger Buchmesse geliefert wurden. Dass sie immer so rasant ausverkauft waren, das war ein gewisses Handicap dieses sonst so gelungenen Autoren-, Verleger-, Vertreter-und Buchhändler-Stelldicheins im frostig-düsteren Sachsenland.In Deutschland hält die besondere Zuneigung für die österreichische Literatur an. Das lässt sich nicht nur durch die vielen Thomas Bernhard-Epigonen oder Daniel Kehlmanns Verkaufs-Erfolg
In einem Theater in Frankfurt am Main ist ein Kritiker attackiert worden, und das geschah so: Eine Schauspielerin, die auf der Bühne soeben einen Schwan "geboren" hatte, legte dem Berichterstatter auf Geheiß eines Kollegen das tote Requisit in den Schoß, der Schauspieler entriss dem Herrn den Schreibblock, versuchte auf der Bühne aus dessen Notizen vorzulesen, was ihm nicht gelang, worauf er den Block wieder zurückgab. Der angegriffene Kritiker verließ darauf vorzeitig das Auditorium, wobei ihm von der Bühne unflätige Abschiedsworte nachgerufen wurden.Am nächsten Morgen forderte die
Aus Gründen, die mir nicht bekannt sind, wurde eine für das Wiener Theatermuseum geplante Ausstellung über Friedrich Gulda abgesagt. Das ist bedauerlich. Hätten wir nicht schon im Mai des vergangenen Jahres den 75. Geburtstag des Pianisten feiern sollen? Eine versäumte Gelegenheit also. Weil man aber nicht immer ein Jubeljahr zur Hand haben muss, erinnere ich jetzt trotzdem an Gulda. Und mache ein wenig Werbung. Denn ab 20. Jänner, so versicherte mir vor einer Woche der Mann im Plattenladen, werden Guldas private und bis jetzt unbekannte Aufnahmen von Mozart-Sonaten zu kaufen sein.
Und als der Schnee fiel, schrieben die Kinder mit ihren Fingern "cool" in das verschneite Heckfenster eines Autos, aus den Restaurants leuchtete gelblicher Schein auf die weißen Gehsteige, es schneite und schneite vor sich hin und auf dem nächtlichen Nachhauseweg knirschte der Schnee unter meinen Schritten so großartig, wie er es sonst nur in Erzählungen von Alois Brandstetter tut.Stop! So ein Ton eignet sich doch nicht für diese Kolumne! Soll ich nicht besser gegen die sich lawinenartig ausbreitenden Weihnachtsmärkte, die ganze Städte zum Verschwinden bringen, wettern? Oder z. B.
Der Strom des Vergessens spült, wie jeder an sich selbst beobachten kann, vieles hinweg, und es richten selbst Gedankenjahre und alle neudeutsch so genannten "Formate" unserer Erinnerungskultur wenig gegen den Schwund unserer Begabung für Gedächtnis aus. Kann schon sein, dass Gedächtnis und Erinnerung keine angeborenen menschlichen Eigenschaften sind, sondern dass wir sie immer wieder trainieren müssen.Wie wäre es also, so dachte ich, wenn wir das Training aufnehmen würden für einen, der als Schriftsteller und literarischer Historiker zeitlebens um das geistige Erbe Europas bemüht
Bei der "Low Order"-Technik, sagte der Polizeisprecher, wird zuerst der Mantel der Fliegerbombe weggesprengt, sodass danach der freigelegte Zünder abgesprengt werden kann. Danach zerfalle die Bombe in ihre Teile und könne von sich aus nicht mehr explodieren.Im alten Europa wurde wieder einmal eine amerikanische Fliegerbombe ausgegraben. Weil aber eine Baggerschaufel dummerweise den chemischen Zünder "in Bewegung gebracht" hatte, musste alles sehr schnell gehen: "Achtung, Achtung, hier spricht die Polizei! Bitte räumen Sie umgehend ihre Wohnungen!" Eine ganze Wohnsiedlung war zu evakuieren,
Am 18. September wird in Deutschland eine neue Regierung gewählt. Diese Gelegenheit bleibt den Österreichern verwehrt, trotz all der fpö-bzö-Peinlichkeiten, um nur ein Beispiel zu nennen, das Anlass dafür hätte bieten können, auch die österreichischen Wähler neu entscheiden zu lassen. Bundeskanzler Gerhard Schröder aber gestand sich die deprimierende Lage ein, die Verfassungsjuristen haben das vorzeitige Ende der Legislaturperiode nolens volens abgesegnet, und nun haben die Deutschen die Wahl. So wird in Deutschland in der Zeit, in der uns sonst das Sommerloch angähnt, selbst bei
Man kann sich darüber die Haare raufen, warum Tamino, der holde Jüngling, sanft und schön, nach anfänglicher Angst vor Sarastro, dem Tattergreis im Jagdkostüm, dann doch in dessen geriatrisches Sanatorium aufgenommen werden und mit Oma und Opa Sonnenblumen züchten will. Die neue Inszenierung von Mozarts "Zauberflöte" bei den heurigen "Salzburger Festspielen" erhitzt die Gemüter, und das ist auch gut so. Künstlerische Perfektion in Oper, Schauspiel, Konzert - und das Auditorium zeigt einhellige Begeisterung? Da würde einem der Salzburger Sommer eh schon wieder verleidet. Kunst braucht
Und jetzt bitten wir die Mächtigen der Welt, nicht ganz so böse zu sein und den armen Menschen in Afrika wenigstens ein Semmerl hinüber zu schieben. Und damit das alles nicht ganz so im Verborgenen über die Bühne geht, holen wir ein paar bekannte Elektromusiker dazu, die singen ihre alten Schlager und siehe da, etwas bewegt sich in unseren Herzen, und so singen wir gleich noch einen kräftigen Protestsong und der fordert beinhart: "Give peace a chance!"Wenn sich an diesem Mittwoch in Edinburgh die Präsidenten der großen Industrieländer treffen und den Schuldenerlass für die ärmsten
Der neue Roman des deutschen Schriftstellers Karl-Heinz Ott ist eigentlich eine grandiose Novelle: zu lesen als Doppelgängergeschichte oder als Studie über Lebensuntüchtigkeit.Zwei Männer begegnen sich in der Mitte ihres Lebens. Einiges an schmerzhafter Erfahrung liegt hinter ihnen. Wie es nun weitergehen soll, berufliche Zukunft, privates Glück, und überhaupt, wie man es künftig weitertreiben soll, dieses so genannte Leben, in dem man mit müden Kompromissen, Verzagt- und Halbheiten dahingewurschtelt hat, das weiß keiner der beiden.Während sich der Erzähler, Philosophieprofessor an
Die Stadt Brandenburg an der Havel erreicht man mit dem Auto von Berlin kommend in etwas mehr als einer Stunde. Die ehemalige Industriestadt liegt westlich von Potsdam mitten im Havelland, sie trägt noch die Spuren der ddr-Vergangenheit. 75.000 Einwohner hat Brandenburg heute, aber die alten Hallen stehen leer und die Arbeitslosenrate beträgt 22 Prozent.Am Stadtrand zu finden ist der Marienberg, ein Hügelrücken, über den sich einer der städtischen Friedhöfe ausbreitet. Auf dem 1947 hier errichteten Ehrenmal für die im nationalsozialistischen "Zuchthaus" Brandenburg-Görden
Das 42. Berliner Theatertreffen als Spiegel der deutschen Bühnenlandschaft.Zum Abschluss des zweiwöchigen Berliner Theaterfestes, das kein rauschendes war, sagten fünf junge Theaterleute aus fernen Ländern ihre Meinung. Das deutsche Theater sei "sehr formal, unemotional, ohne Handlung, trocken, langweilig, überintellektuell", so der 35-jährige Autor und Regisseur Juha Jokela aus Helsinki in der letzten Ausgabe der Festival-Zeitung. "Es gibt eine große Angst vor Gefühlen, davor, dass es kitschig und unintellektuell wird, wenn man sie zeigt. Aber ich kann oft besser nachdenken, wenn ich
Neulich war der Papst dran, jetzt ist Hitler wieder an der Reihe. Mit den Gedenkfeiern zum Kriegsende vor sechzig Jahren und den termingerecht präsentierten Filmen wird Hitler wieder einmal zu einem der beliebtesten Bildmotive in unseren Illustrierten und Zeitungen. Nach Bruno Ganz als Hitler nun also Tobias Moretti als Hitler. Was für ein Glück! Wir können nicht nur darüber befinden, welcher Schauspieler seiner Aufgabe besser gerecht wird, sondern die alte Frage tut sich wieder auf: wie war der wirkliche Hitler denn eigentlich so in Wirklichkeit? Das fragen sich Journalisten gerne. Sie
Clarissa Stadler verknüpft in ihrem Prosaband "N. Eine kleine Utopie" Feuilletons, Stimmungsbilder und Geschwätz.Dem wiederholt erhobenen Vorwurf, den jungen deutschsprachigen Autorinnen mangle es an Themen, Stoffen und guten Geschichten, in ihren Büchern würden zwar jugendliche Beziehungsnöte, die Abnabelung von den Eltern, Kleinkram aus dem Wohngemeinschafts-Alltag oder flüchtige Begegnungen auf Reisen verarbeitet, sie hätten aber sonst nicht viel zu erzählen, diesem Vorwurf wird gerne mit dem Argument begegnet, die Autorinnen würden in diesen Texten unglaublich sensibel das
Ich möchte, dass das Leben wieder normal wird. Das wochenlange Hinstarren auf die letzten Grußhände des Papstes ist vorbei, jetzt braucht man sich auch über Kleidervorschriften für die Hochzeit von Camilla und Charles nicht mehr den Kopf zerbrechen, Harald Juhnke und der Fürst von Monaco sind begraben, der Bundeskanzler wird ohnehin nicht kommentieren, wie sehr Österreich durch orangeblaue Hysterienspiele diskreditiert wird, so könnte jetzt das Leben bitte endlich wieder normal werden. Daher: einfach abschalten! Einen Monat lang kein Fernsehen, keine Zeitungen, kein Mittagsjournal. So
Sven Regeners Roman "Neue Vahr Süd": viele Gespräche, wenig Handlung.Dieser Roman ist ein aufgeblasenes Ding. Auf fast 600 Seiten erzählt der deutsche Schriftsteller Sven Regener von seinem 19 Jahre alten Helden Frank Lehmann, einem gelernten Speditionskaufmann aus Bremen, der im Jahre 1980 vergisst, den Militärdienst zu verweigern, sich dadurch sinnlosen Schikanen soldatischer Ausbildner aussetzen muss, dann aber doch den Dienst mit der Waffe verweigert und nach Liebesenttäuschungen und wahrhaft mühseligen Erfahrungen in einer Bremer Wohngemeinschaft angeblich linker Studenten zu seinem
Sie trampeln durch den Bus, von der Einstiegstür vorne bis zu ihren Sitzplätzen, die sie ganz hinten einnehmen, zwei etwa Vierzehnjährige, erst halbwegs groß gewordene Buben mit viel Gel im Haar. Mit ihrem rüden Ton sichern sie sich die Aufmerksamkeit der Mitreisenden. Bestimmt überlege nicht nur ich, jetzt, sofort und gleich nach hinten zu gehen, um ihrer Provokation ein Ende zu machen, etwa in dem Sinne: "Es ist für alle Leute im Bus superinteressant, was ihr erlebt habt, aber bitte: ab sofort ein wengerl leiser!" Wieso fällt mir für meine geplante Aktion das altmodische Wort
Eigentlich wollte ich ja über das Wetter schreiben, über den Zauber des Winters, über die verschneite Akazienstraße, die knirschenden Schritte im mitternächtlichen Neuschnee, die übermütigen Schneeballwerfer, die wir im Volksschul-Lesebuch unserer Mutter so gerne betrachtet hatten, aber dann traf ich Annette B. im Bus, und sie beantwortete meine Frage "Wie geht's ?"Annette B. ist 42 Jahre alt, sie studierte Betriebswirtschaft und Kunstgeschichte, schrieb ihr Diplom über den Maler Lucian Freud, war einige Jahre in einem Wiener Museum angestellt, drei Jahre in Frankreich für ein
In Erwin Einzingers neuem Roman über die Populärkultur darf es durchaus "sprunghaft und gewagt zugehen".Aus der Geschichte der Unterhaltungsmusik" heißt das neue, lange erwartete Buch des 51-jährigen Schriftstellers Erwin Einzinger. Zehn Jahre lang hat der oberösterreichische Autor an diesem fulminanten Werk, das man zweifellos sein "opus magnum" nennen darf, gearbeitet, mehr als fünfhundert Seiten ist es stark.Einzingers neuer Roman enthält mehr als zweihundert exakt gleich lange Texte, jeder füllt zwei und eine Drittel Seite. Aber dieses strenge Prinzip verhindert nicht, dass der
Was sind Sie, wenn ich fragen darf, für ein Jahrgang? fragt der weißhaarige Mann seinen Nachbarn, der den Fragenden um fast zwei Köpfe überragt. Und der Große mit der Glatze sagt bereitwillig: "1928". Worauf der Kleine mit der karierten Mütze "1925" antwortet. Weil sie einem Ehepaar die Sitzplätze freigemacht haben, kommen sie im städtischen Bus nebeneinander zu stehen. Der Ältere erzählt, dass er soeben aus dem Krankenhaus entlassen worden sei, man habe ihm, er war im Weltkrieg bei der Fliegerabwehr, einen Granatsplitter aus dem Oberschenkel entfernt. Darauf fragt der andere nach
Dieter Fortes Geschichten aus der jungen Bundesrepublik.Wenn Dieter Forte vom Jazz der fünfziger Jahre erzählt, gerät er schnell ins Schwärmen. Da kennt er sich aus, das hat er alles erlebt, da zählt er uns alle bedeutenden Jazzer auf, die damals en vogue waren. Und natürlich kommt da auch "Fatty George aus Wien, ein Schrank von einem Kerl, der seine Klarinette mit großem Druck und vorgeschobener Hüfte spielte, neben ihm Oskar Klein, einer der glanzvollsten Trompeter Europas, mit nie endenden Solos ..." DieWerbung des Verlags macht uns von vornherein klar, worum es sich bei diesem
Martin Pollacks Buch über den SS-Sturmbannführer Gerhard Bast, seinen Vater.Über die Zeit des Nationalsozialismus und über den Zweiten Weltkrieg werden immer noch zahlreiche Bücher veröffentlicht. Die Deutschen als Opfer dieses Krieges, insbesondere des Bombenkriegs der Alliierten zu sehen, das ist neuerdings ein besonders beliebtes Thema. Man will sechzig Jahre nach Kriegsende nicht immer noch als gedemütigter Verbrecher vor der Weltgeschichte stehen: wir waren doch auch, sagen viele Menschen, Hitlers Opfer. Man denke nur an leidende Zivilbevölkerung, an die Nöte der Soldaten in
Botho Strauß' Aufzeichnungen "Der Untenstehende auf Zehenspitzen".Ich habe gelebt, als ob mein Tag noch kommen würde. Aber, die Wahrheit zu sagen, er war schon vorüber, als ich geboren wurde." Wenn der sechzigjährige Autor Botho Strauß zum Räsonnieren ausschreitet, kehrt er nach einigen Gängen durch die Natur, die er rund um sein einsames Landhaus in der Uckermark unternimmt, nach Verarbeitung der Lektüre und nach weitgreifenden Resümees über den Stand von Menschheit, Utopie, Aufklärung, Fortschrittsglauben und Moderne doch immer wieder zu sich zurück, zum Autor B. S. und seiner
Christoph Heins neuer Roman "Landnahme" - ein Buch über Anpassung.Überraschend ist es, wenn ein an Geschichte und Politik interessierter Autor aus der DDR fünfzehn Jahre nach deren Ende einen Roman veröffentlicht, dessen Figuren in seinem Lande lebten, aber von den besonderen Lebensumständen ihres realsozialistischen Staates kaum berührt wurden. Und bemerkenswert ist ebenso, dass Rezensenten, die unlängst Walser oder Grass wegen angeblicher Verharmlosung der Verhältnisse kritisierten, diesmal verzückt ausrufen: "Endlich! Der große deutsche Roman!" In der Tat, Christoph Hein hat ein
Urs Widmer über seinen Vater, den Übersetzer Walter Widmer.Zwei Tage nach dem Tod des Vaters beobachtet der Sohn, wie seine Mutter das Arbeitszimmer ihres Mannes räumt. Unmengen von Papier, Medikamenten und altem Kram hat sie schon in einigen Säcken nach unten, an den Straßenrand, geschleppt, wo sie soeben vom Müllauto abgeholt wurden.Wo denn nun das weiße Buch des Vaters sei, will der Sohn wissen, jenes Buch, in das der Vater, einem alten Familienbrauch zufolge, jahrelang seine persönlichen Aufzeichnungen notiert hatte? Das habe sie, sagt die Mutter erleichtert, Gott sei Dank gleich
Hugo Loetschers leidenschaftliche Hinführung zur Schweizer Literatur.Es ist immer ein Gewinn, die Bücher Hugo Loetschers zu lesen. Denn der Schweizer Schriftsteller, wie Walter Kempowski, Heiner Müller und Christa Wolf im Jahre 1929 geboren, ist nicht nur ein raffinierter Stilist und ein blendender Erzähler, er besitzt zudem viele verschiedene Talente.Loetscher, ein gleichermaßen politisch wie literarisch gebildeter Autor, studierte Ende der vierziger Jahre in Paris und Neapel Wirtschaftsgeschichte, Soziologie und Politologie und war einige Jahre Literaturredakteur der renommierten
Gerhard Klingenberg erinnert sich an das Jahr 1970 und seine Anfänge als Burgtheaterdirektor.Gerhard Klingenberg, von 1971 bis 1976 Direktor des Wiener Burgtheaters, hat nach seiner Autobiografie "Kein Blatt vor den Mund" (1998) ein zweites Buch veröffentlicht. Der Titel "Das gefesselte Burgtheater - 1776 bis in unsere Tage" lässt vermuten, dass es sich bei diesem Opus um eine neue Geschichte des Wiener Burgtheaters handle. Der Eindruck täuscht, denn Klingenberg untersucht die Geschichte dieses Hauses keineswegs "bis in unsere Tage", sondern im Hinblick auf seine direktorialen
Rechtzeitig zum 60. Geburtstag von Peter Handke erschienen weitere Texte über Literatur, Film und bildende Kunst.Der Autor beschwört darin auch die einzigartige Herrlichkeit Kino.Peter Handke veröffentlichte 1992 unter dem Titel "Langsam im Schatten" eine Sammlung von Aufsätzen, Notaten und Reden über Literatur, Kino und bildende Kunst aus den Jahren 1980 bis 1992. Darunter finden sich einige Texte, die die politische Realität der achtziger Jahre in Österreich reflektieren. Handke beschreibt anhand seines bekannten Eklats mit der Salzburger Polizei im Jahre 1985 das spezifisch-dumpfe
Erfahrungen eines Österreichers in der deutschen Theaterwelt.Sie lesen die Romane von Dostojewski, Philip Roth und Michel Houellebecq, sie hören Musik von Monteverdi bis Tocotronic. Bei der Documenta in Kassel stehen sie Schlange, um wirklich alle Video-Installationen sehen zu können. Sie haben auch keine Mühe, in Den Haag vier Stunden auf den Einlass in eine total überfüllte Vermeer-Ausstellung zu warten, und in Amsterdams Rijks-Museum gehen sie an drei Tagen hintereinander für mehrere Stunden rein. Über die Trends der afrikanischen Fotografie wissen sie dank teurer Zeitschriften