Treffpunkt Arbeitsamt

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Eigentlich wollte ich ja über das Wetter schreiben, über den Zauber des Winters, über die verschneite Akazienstraße, die knirschenden Schritte im mitternächtlichen Neuschnee, die übermütigen Schneeballwerfer, die wir im Volksschul-Lesebuch unserer Mutter so gerne betrachtet hatten, aber dann traf ich Annette B. im Bus, und sie beantwortete meine Frage "Wie geht's ?"

Annette B. ist 42 Jahre alt, sie studierte Betriebswirtschaft und Kunstgeschichte, schrieb ihr Diplom über den Maler Lucian Freud, war einige Jahre in einem Wiener Museum angestellt, drei Jahre in Frankreich für ein Tanztheater-Festival verantwortlich und schließlich in der Schweiz Managerin einer renommierten Ballett-Compagnie. Vergangenen Sommer löste sich die Truppe auf und Annette B. wollte ein neues Engagement finden. Sie absolvierte Vorstellungsgespräche bei einer Fernsehanstalt, einem Museum für moderne Kunst, einer Universität, einer Event-Agentur, einem Immobilienbüro, einer Buchhandlung usw. Seit sechs Monaten geht Annette B. zum Arbeitsamt, trifft dort in ihrer Gruppe habilitierte Universitäts-Dozenten, Chemiker, Architekten, Juristen, sie alle im Alter zwischen 40 und 50 Jahren. Annette B. geht höchst ungern auf dieses Amt, schreibt weitere Bewerbungen und möchte so schnell wie möglich wieder arbeiten.

Warum gibt es kein Modell für Arbeitslose, das ihnen eine Teilzeitarbeit im eigenen Beruf ermöglicht? Mit dem Geld, das sie ohnehin bekommen. Oder mit etwas mehr. Annette B. erzählt, dass sie oft nur zuhause hockt und nicht weiterweiß. Es macht mich zornig, dass es sich unsere Gesellschaft leisten kann, auf die Fähigkeiten und Begabungen so vieler Menschen zu verzichten. Und damit meine ich keineswegs nur die Akademiker!

Der Autor arbeitet am Kulturforum der Österreichischen Botschaft in Berlin.

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