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Christoph Heins neuer Roman "Landnahme" - ein Buch über Anpassung.

Überraschend ist es, wenn ein an Geschichte und Politik interessierter Autor aus der DDR fünfzehn Jahre nach deren Ende einen Roman veröffentlicht, dessen Figuren in seinem Lande lebten, aber von den besonderen Lebensumständen ihres realsozialistischen Staates kaum berührt wurden. Und bemerkenswert ist ebenso, dass Rezensenten, die unlängst Walser oder Grass wegen angeblicher Verharmlosung der Verhältnisse kritisierten, diesmal verzückt ausrufen: "Endlich! Der große deutsche Roman!" In der Tat, Christoph Hein hat ein Buch über Anpassung geschrieben. Er erzählt uns, auf welchen Wegen ein jugendlicher Außenseiter zum Wohlstandsspießer wird.

Der Roman "Landnahme" macht uns mit der Geschichte von Bernhard Haber aus Guldenberg bekannt. Das fiktive sächsische Städtchen kennen wir schon aus Christoph Heins Roman "Horns Ende" (1985). Der heute sechzig-jährige Autor, der wie sein Held aus einer polnischen Umsiedlerfamilie stammt, arbeitet sich nach "Von allem Anfang an" (1997) also weiter durch den Erinnerungsschatz seiner eigenen Jugend.

Bernhard Haber kommt 1950 im Alter von zehn Jahren mit seinen Eltern aus Breslau in die DDR. Bernhard ist ein couragierter Dickschädel in eigener Sache, leicht ließe sich aus ihm ein Opfer modellieren, denn für die Eingeborenen der kleinen Stadt Guldenberg sind die Umsiedler "Polacken" und nicht beliebt. Die Tischler-Werkstatt des Vaters wird in Brand gesteckt, Bernhards Hund mit einer Drahtschlinge erdrosselt, und schließlich findet man den Vater erhängt - es war nicht Selbstmord, sondern Mord.

Dann sehen wir Bernhard Haber, wie er auf die Seite der Macht gewechselt ist und gemeinsam mit den Funktionären der SED bei der Enteignung der Großbauern zupackt. Später verdient er jedoch als Chauffeur bei einer Fluchthilfe-Organisation so viel Geld, dass er sich eine große Tischlerei einrichten kann. Er heiratet eine Frau, die brav zu ihm aufblickt, und bleibt auch nach 1989 einer der einflussreichen Männer im Ort. Nein, Bernhard Haber ist kein Wendehals, er hat immer schon entschieden in eine Richtung geschaut, in die seines eigenen Vorteils.

Fünf Personen erzählen in einzelnen Kapiteln von Habers Geschick. In ihren Schilderungen, die einige großartige Anekdoten zum Vorschein bringen, öffnet Hein den Blick auf privates Glück und Elend einer Handvoll Menschen von den fünfziger Jahren bis heute. Der 17. Juni 1953, der Bau der Mauer, das Ende der DDR und die Wiedervereinigung Deutschlands, derartige historische Ereignisse hat man in der Stadt Guldenberg bestenfalls als Wetterleuchten wahrgenommen, die Lebensumstände ihrer Einwohner blieben davon unberührt.

Die fünf Berichte setzt der Autor wie statements der oral history nebeneinander. Sie sind eindringlich zu lesen, denn man steht sozusagen in Augenhöhe mit den Zeitgenossen. "So ist es halt gewesen", sagen sie uns. Aber das sich dokumentarisch gebärdende Material ist natürlich Prosa, und daher müssten Blickrichtung, Gestus und Haltung einem dramaturgischen Prinzip folgen. Leider sind es zudem, im Unterschied zu "Horns Ende", recht gleichförmige Stimmen, die erzählen. Wir erfahren auch nicht, warum sie das tun. Dass alle fünf Erzähler wie der Autor über die gesamte Menge des Stoffes verfügen und dabei ohne sprachliche Differenzierung reden, gibt dem Buch einen etwas monotonen Zug und verursacht unnötige Wiederholungen.

So richtig freuen kann sich Christoph Hein über die allerhöchsten Touren der Suhrkamp-Werbemaschinerie und das überzogene Gerede vom "großen deutschen Roman" wohl kaum. Oder sollte es das sein, das spezifisch Deutsche: sich frech durchschlängeln, das Politische ignorieren und mal hier und mal da seinen Schnitt machen? Ist vielleicht das so deutsch an diesem Roman, dass uns sein Autor Unterordnungslust und Opportunismus als Erbe des untergegangenen Staates vorführen möchte? Haben die Kollegen das nicht gelesen, wie autoritätsgläubig, fremdenfeindlich und niederschmetternd Hein die Atmosphäre der deutschen Provinz ausgemalt hat ? Deutschland - ist das wirklich eine windstille Welt, in der jeder müde Untertan auftrumpfen und dabei doch nur seine Ruhe haben will?

P.S.: "Landnahme" heißt auch ein Buches von Uwe Bolius über die Abholzung brasilianischer Eukalyptus-Wälder (1998), ebenso heißt so ein Film zum Buch, eine Hamburger Ausstellung im "Museum der Arbeit" usw.

Landnahme

Roman von Christoph Hein

Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2004

357 Seiten, geb., e 20,50

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