Das Niveau des Jahrhunderts entlarvt

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Österreichs renommiertester Literaturpreis, der Staatspreis für Europäische Literatur, mit dem u. a. Aleksandar TiÇsma, Salman Rushdie, Marguerite Duras, Péter Esterházy oder Umberto Eco ausgezeichnet worden sind, wurde am Wochenende von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel dem deutschen Schriftsteller Christoph Hein verliehen. Der Romancier, Dramatiker und Essayist Christoph Hein gehört seit den achtziger Jahren zu den bedeutenden deutschen Autoren und ist eine Schlüsselfigur der "Wende" in Deutschland - nicht nur wegen seines damaligen politischen Engagements, sondern weil er neben Christa Wolf, Günter de Bruyn und Wolfgang Hilbig vielleicht am besten den Wert des literarischen Erbes der DDR verkörpert.

Christoph Hein wurde am 8. April 1944 als Sohn einer Pfarrersfamilie in Schlesien geboren. Nach Kriegsende zog die Familie in die Nähe von Leipzig, wo Hein seine Kindheit verbrachte. Da er als Pfarrerskind kein Gymnasium der DDR besuchen konnte, ging er 1958 als Internatsschüler in ein humanistisches Gymnasium in Westberlin. Der Bau der Berliner Mauer hielt ihn in der DDR zurück, wo er 1961-67 als Montagearbeiter, Buchhändler, Kellner, Journalist, Schauspieler in kleinen Rollen und als Regieassistent arbeitete. 1964 holte er das Abitur an einer Abendschule nach, 1967-71 studierte er Philosophie an der Berliner Humboldt-Universität.

Christoph Heins literarische Karriere begann als Dramaturg und Hausautor an der Volksbühne Berlin. Der Durchbruch gelang ihm mit der Novelle "Der fremde Freund", die im Westen unter dem Titel "Drachenblut" erschien. Hier wurde Hein zum Chronisten - eine Charakterisierung, die er für seine Literatur gerne in Anspruch nimmt - des kaltblütigen Arrangements einer erfolgreichen vierzigjährigen Ärztin mit den Umständen und mit sich selbst. "Horns Ende" (1985) war Heins erster Roman, mit "Der Tangospieler" (1989), "Das Napoleonspiel" (1993) oder "Von allem Anfang an" (1997) sollten weitere wichtige Titel folgen.

Was aber heute nahezu vergessen scheint: Christoph Heins 1985/86 entstandene Komödie "Die Ritter der Tafelrunde" war das meistgespielte Stück der zerfallenden DDR. Es zeigt die Artusrunde als zerfallende Gemeinschaft alt gewordener Männer und Frauen, die den gemeinsamen Glauben an den heiligen Gral verloren haben. Resigniert gestehen sie sich ein: "Wir haben unser Leben geopfert für eine Zukunft, die keiner mehr haben will." Das Stück wurde als Parodie auf die Führungsclique der DDR verstanden; das machte seinen damaligen Erfolg ebenso aus wie das rasche Vergessen dieses "Wende-Stückes". Hein freilich insistierte bereits 1990: "Ich meine weder die DDR noch die sozialistischen Länder, ich meine wirklich das Niveau unseres Jahrhunderts." Vielleicht kommt noch einmal eine Zeit, die auch andere "Tafelrunden" in diesem Stück zu erkennen vermag.

"Prosa schreiben, das lehren uns Heins Geschichten, heißt die Welt mit einfachen Mitteln schaffen." Mit diesen Worten lobte Michael Scharang seinen langjährigen Briefpartner Christoph Hein in der Laudatio zum Österreichischen Staatspreis. Scharangs Erfahrung, dass sich literarische Figuren in einem Menschen einnisten und ihn jahrelang begleiten können, wird man bei Christoph Hein wohl auch weiterhin machen können, wenn dieser Chronist fiktive Welten erfindet, um die reale Welt zu benennen. Cornelius Hell

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