Der Direktor als "armes Schwein"

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Gerhard Klingenberg erinnert sich an das Jahr 1970 und seine Anfänge als Burgtheaterdirektor.

Gerhard Klingenberg, von 1971 bis 1976 Direktor des Wiener Burgtheaters, hat nach seiner Autobiografie "Kein Blatt vor den Mund" (1998) ein zweites Buch veröffentlicht. Der Titel "Das gefesselte Burgtheater - 1776 bis in unsere Tage" lässt vermuten, dass es sich bei diesem Opus um eine neue Geschichte des Wiener Burgtheaters handle. Der Eindruck täuscht, denn Klingenberg untersucht die Geschichte dieses Hauses keineswegs "bis in unsere Tage", sondern im Hinblick auf seine direktorialen Vorbereitungsarbeiten im Jahre 1969/70 und beendet die Ausführungen in den sechziger Jahren.

Es ist kaum zu glauben, aber wahr: für jene 27 Jahre, die auf die fünf Jahre währende Ära folgten, hat der Verfasser gerade zwei Sätze übrig: "Ob meine Nachfolger Benning und Peymann diese (das Burgtheater als ein europäisches Theater, K. R.) oder eine andere Vision hatten, das zu beurteilen fehlt mir die Distanz. Daß aber Klaus Bachler ihnen, was Geschmack, Niveau und internationalen Anspruch angeht, haushoch überlegen ist, lässt sich trotz fehlender Distanz und erst relativ kurzer Tätigkeit schon heute sagen."

Die Abkürzung des Themas, wo es gerade "in unseren Tagen" doch so interessant würde, ist ärgerlich. Das Problem des Buches sitzt aber tiefer, denn es reduziert die Geschicke des Burgtheaters auf die seiner Direktoren. Sind nicht die Schauspieler, die Aufführungen, die Inszenierungen, die Regisseure das künstlerisch be-merkenswerte eines Theaters? Bei Klingenberg marschieren stattdessen die Direktoren auf, und zwar gibt es da mutige (daher von der bösen Obrigkeit angefeindet) und opportunistische (daher mit Verachtung des Autors bestraft). Als Maßstab für die Einteilung dienen Klingenberg Stücklisten: Mit Hilfe der Dramatiker, deren Stücke zur Aufführung gebracht wurden, wird der eine Direktor als progressiver Freund der Literatur gelobt, der andere als seichter Unterhalter des Bürgertums abqualifiziert. Der war also ein hervorragender Theater-Direktor, der früh die allerneuesten deutschen Theaterstücke in Wien nachgespielt hat.

Es geht recht schematisch zu bei der Beurteilung der einzelnen direktorialen Potenzen. Dabei mag man sich als Leser über die eine oder andere Story aus dem 18. und 19. Jahrhundert durchaus erfreuen. Merkwürdig natürlich, dass ausgerechnet der Autor Anton Wildgans (er war zweimal Burgtheater-Direktor!) zu einer Lichtgestalt in der dunklen Burgtheatergeschichte erglüht. Wobei pikanterweise noch vermerkt wird, dass alle Wildgans-Akten in staatlichen Archiven verschwunden seien. Hat denn der Autor diesmal gar keine Quellenstudien betreiben können?

Wohl auch aus fehlender Distanz ist die Einschätzung der Jahre nach 1945, die Direktionen Gielen, Rott, Haeussermann und Hoffmann, äußerst skizzenhaft ausgefallen. Dass die beiden letzteren ebenso schlecht wegkommen, ist in Anbetracht ihres "immensen Schadens", den Direktor Klingenberg dann aufzuräumen hatte, nur konsequent. Vor ihm und nach ihm erlebten wir naturgemäß lauter Versager.

Zu Beginn des Buches ist immer wieder von Fesseln die Rede, die das Burgtheater einschnüren würden. Alles kann da zur Fessel werden, z.B. auch das Publikum. Ein Motiv also, das beliebig wird. Es dient im Sinne der Argumentation, das Burgtheater werde durch seine künstlerischen Leiter bestimmt, vor allem dem Bild vom gefesselten Direktor. Es besagt in Variationen immer nur das eine: als Burgtheater-Direktor bist du ein armes Schwein. Von oben reden dir kunstfeindliche Politiker drein und hinter deinem Rücken höhlen intrigante Schauspieler deine Autorität aus. Auch hier werden wieder Ressentiments erkennbar, die Klingenberg wohl immer noch gegen seine Vor- wie Nachgänger hegt. Ihnen haben wir vermutlich auch diverse Fehler und eine kuriose Literaturliste zu verdanken, in der wichtige Werke fehlen.

Seit 1970 ist im und mit dem Wiener Burgtheater sehr viel geschehen. Viele Fesseln wurden gelöst, andere neu geknüpft. Die Sorgen, die der damals 41-jährige Klingenberg als designierter Burgtheater-Direktor hatte, die haben wir Gott sei Dank heute nicht mehr. Und dazu können wir uns herzlich gratulieren.

Der Autor ist Dramaturg, Regisseur und Kurator für Literatur am "Kulturforum" der Österr. Botschaft in Berlin.

Das gefesselte Burgtheater

1776 bis in unsere Tage

Von Gerhard Klingenberg

Molden Verlag, Wien 2003

224 Seiten, geb., e 23,50

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