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Bankrotterklärung vor sich selbst

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Im Mai 1972, vier Monate vor Beginn seiner ersten, eigenverantwortlichen Saison, gab Gerhard Klingenberg im Rahmen einer Pressekonferenz eine „programmatische Erklärung“ ab, in der viel von Kultur und Humanismus, von (Haß-)Liebe zum Burgtheater, von Moral und von der Wahrheit die Rede war. Der jüngste Burgtheaterdirektor der Geschichte, als Schauspieler und Regisseur zwischen Landesbühne Burgenland, St. Pölten, Innsbruck, Ost-Berlin und der Bundesrepublik durch eine harte Schule gegangen, als Theaterleiter jedoch Novize, asketisch, dynamisch, eloquent, von Traditionen weder belastet noch ihnen zugetan, dieser Mann also versprach dem leidgeprüften Haus einen neuen Höhenflug, der es aus traditionalistischer Verknöcherung zu neuen, staubfreien Ufern führen werde. Der Höhenflug blieb ein theoretischer.

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Im Mai 1972, vier Monate vor Beginn seiner ersten, eigenverantwortlichen Saison, gab Gerhard Klingenberg im Rahmen einer Pressekonferenz eine „programmatische Erklärung“ ab, in der viel von Kultur und Humanismus, von (Haß-)Liebe zum Burgtheater, von Moral und von der Wahrheit die Rede war. Der jüngste Burgtheaterdirektor der Geschichte, als Schauspieler und Regisseur zwischen Landesbühne Burgenland, St. Pölten, Innsbruck, Ost-Berlin und der Bundesrepublik durch eine harte Schule gegangen, als Theaterleiter jedoch Novize, asketisch, dynamisch, eloquent, von Traditionen weder belastet noch ihnen zugetan, dieser Mann also versprach dem leidgeprüften Haus einen neuen Höhenflug, der es aus traditionalistischer Verknöcherung zu neuen, staubfreien Ufern führen werde. Der Höhenflug blieb ein theoretischer.

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Es folgte eine Saison der Katastrophen. Zwischen dem „negativen Wunder“ des „Philemon“ („Salzbur-ger Nachrichten'-), dem „jämmerlichen Macbett“ („Arbeiter-Zeitung“), dem „schlappen Ohaos“ des „Lear“ (..Süddeutsche Zeitung“) und anderen Debakeln ragte einzig der „Bürger als Edelmann“, wenn auch „in hemmungsloser Outrage schwelgend“ (Profil), als Fels in der Brandung des laufgebrachten und zugleich schwindenden Publikums, was in hohem Maß Publikumsliebling „Pepi“ Mein-irad zu verdanken war.

Die Erfolge an der Nebenfront Akademietheater („Alles vorbei“ ioder „Ein Pest für Boris“) konnten da über die ziemlich verzweifelte Lage am Hauptkriegsschauplatz ebenso wenig hinwegtäuschen wie heuer die (brillanten „Akrobaten“ über den „quälend unterklassigen Götz“.

Trotzdem, alles in allem genommen, beweist dies nur, daß Klingenberg offenbar einen falschen Weg und diesen glücklos ging — ein Mann ohne Fortune. Beides ist keine 'Schande und verzeihlich.

Nun platzte aber im Dezember eine Bombe besonderer Art.

Es wurde ruchbar (frühzeitig und keineswegs beabsichtigt), daß der Direktor des Burgtheaters Verhandlungen mit dem Zürcher Schauspielhaus aufgenommen hatte. Fünfzehn Monate nach Antritt seiner Direktionstätigkeit, wenig mehr als drei und ein halbes Jahr vor Ablauf seines Vertrages, mit dessen Verlängerung er offenbar nicht rechnete, suchte er hinter dem Rücken seines Ensembles, seines Publikums und des zuständigen Ministers sein Schäfchen ins trockene zu bringen. Der „Wahrheitsfanatiker“ Klingen-toerg, wie er sich selbst gern nennt, meinte zweifellos, für seine eigene Person der Wahrhaftigkeit nicht verpflichtet zu sein. Und dies ist nicht mehr verzeihlich.

Schon jetzt Wollte er sich eine Trumpfkarte sichern, um sie gegebenenfalls (für - so nahe hielt er den Zeitpunkt?) ausspielen zu können, wenn sich seine Stellung als unhaltbar erweisen sollte.

Trotz dieser offensichtlichen Bankrotterklärung vor sich selbst (wenn er sie auch nicht wahrhaben will), verstand es Klingenberg, von den (mittlerweile allseits hochgehenden Wogen umspült, sich mit tödlicher Sicherheit weitere Blamagen einzuhandeln: erklärte stolz, in Zürich der „einzige Kandidat“ zu sein, worauf die Öffentlichkeit prompt erfuhr, daß man längst auch mit Thalia-Chef Gobert verhandelt hatte, beteuerte via Fernsehen, daß die „angebliche Unruhe im Ensemble“ einzig in „unseriösen Kommentaren“ behauptet werde, worauf sein Erscheinen vor der Vollversammlung des Ensembles '(145 Anwesende, eine nie dagewesene Zahl) am gleichen Abend mit Mehrheitsbeschluß abgelehnt wurde.

So kann man Klingenbergs weitere Erklärungen, daß er seinen .Vertrag erfüllen und dem Haus bis 1977 „uneingeschränkt“ zur Verfügung stehen werde, daß er seinem Ensemble vertraue (warum aber das Ensemble nicht auch ihm?) und daß die Pläne für die nächsten Burgtheaterjahre „nur Glanzpunkte“ enthielten, nur noch fassungslos zur Kenntnis nehmen und schwanken, ob man sie als wirklichkeitsfremd, kindisch, oder einfach als unseriös bezeichnen soll.

Nur ein an der Hybris der Selbstüberschätzung Erkrankter kann im Ernst glauben, er könne gleichzeitig das Burgtheaier leiten und sein erste Zürcher Saison auf die Beine stellen (es sei denn, er hofft, Werner Düggelin werde ihm diese Arbeit abnehmen), kann erwarten, daß sein von ihm schmählich verratenes und im Stich gelassene Ensemble ihm noch Vertrauen entgegenzubringen vermag.

Einen solchen Mann, der die Schuld an seinen Mißerfolgen überdies nie bei sich selbst, sondern stets in der Böswilligkeit und Indolenz seiner Umwelt, den bösen Wiener „Wadelbeißern“ zu suchen pflegt, noch dreieinhalb Jahre im Amt zu belassen, kann nicht ernsthaft erwogen, kann nicht verantwortet werden.

Es ist also an der Zeit, daß die staatlichen Stellen sich endlich aufraffen, um gut zu machen, was sie schließlich selbst verschuldet haben. Klingenberg ist ja keineswegs von einer erdrückenden Mehrheit des Ensembles auf den Schild gehoben worden (was man diesem jetzt gern in die Schuhe schieben möchte), sondern von Leopold Gratz, damals Herr am Minoritenplatz und Schulfreund Klingenbergs, als dieser noch Gerhard Schwabenitzky hieß. Fred Sino-watz hat ihn geerbt, ihn trifft keine Schuld, er müßte den Mut und das Verantwortungsbewußtsein für eine saubere und vor allem rasche Lösung aufbringen, eine Aufgabe, um die er nicht zu beneiden ist. Nicht nur der bereits recht deutlich ihre Schatten vorauswerfenden Wahlen wegen, sondern auch durch das Versagen des zweiten Gratz-Mannes Rudolf Gams-jäger, dessen „Erfolgsbilanz“ am Opernring der seines Kollegen am Luegerring nicht nachsteht.

Klingenberg vorzeitig aus dem Vertrag zu entlassen, würde natürlich Kosten verursachen, aber es müßten sich doch Möglichkeiten finden, diese Kosten in erträglichen Grenzen zu halten. Warum nicht durch ein paar (aufwendige) Inszenierungen weniger in den nächsten Jahren? Das brav seine monströsen .Staatstheater finanzierende Bundesvolk würde ein paar Premieren weniger sicher lieber in Kauf nehmen als die buchstabengetreue „Erfüllung“ einer Direktion, die ihren eigenen Bankrott bereits erklärt hat.

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