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Der „erste deutsche Regisseur

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Wie schon so oft wurde im Burgtheater wieder eine Premiere verschoben. Ja, diesmal kam es auch noch zur Verlegung einer der Vorpremieren. Wieso ereignet sich das fast ständig im üppig subventionierten Burgtheater, aber weder im Theater in der Josefstadt noch im Volkstheater? Da stimmt etwas nicht.

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Wie schon so oft wurde im Burgtheater wieder eine Premiere verschoben. Ja, diesmal kam es auch noch zur Verlegung einer der Vorpremieren. Wieso ereignet sich das fast ständig im üppig subventionierten Burgtheater, aber weder im Theater in der Josefstadt noch im Volkstheater? Da stimmt etwas nicht.

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Direktor Klingenberg hat einer Zeitung gegenüber erklärt, wenn ein Theaterdirektor die Premieren für ein Jahr festsetze und dann auf den Tag einhalte, sei dies ein eindeutiges Signum für Konfektion. Wir sind aber keineswegs dieser Meinung, sondern finden viel eher, daß das Nichteinhalten angekündigter Termine Zeichen eines ungeordneten Betriebs ist. Wie kommt es zu diesen fast ständigen Verlegungen? Klingenberg kümmert sich wenig um die Proben, erfährt man, er besuche sie erst kurz vor der Premiere, mißfalle ihm dann etwas, wird der angekündigte Termin kurzerhand nicht eingehalten.

Die Stimmung im Burgtheater ist derzeit so schlecht wie noch selten, das wird besorgt festgestellt. Dafür gibt es vielerlei Gründe. Eben hat Inge Konradi das Wort „Ensemblezertrümmerung“ ausgesprochen. Klingenberg bezeichnet zwar das Burgtheater als das „wahrscheinlich bedeutendste Schauspielerreservoir der Welt“, als das „beste Ensemble der Welt“, aber Spitzenschauspieler, die für österreichische Verhältnisse hoch bezahlt werden, sind unterbeschäftigt. Es kommt vor, daß für den einen oder anderen etwa nur eine kleine Rolle im Jahr vorgesehen ist. Dagegen wurde die Zahl der mit höchsten Gagen Dotierten vermehrt, es wird engagiert und engagiert, obwohl sich die betreffenden Rollen mit vorzüglichen eigenen Kräften besetzen ließen. Auch die Zahl der Externisten hat sich etwa verdoppelt. Geld ist genug da. Offenbar wird ein Typentheater bei Vernachlässigung des vorzüglich bezahlten Ensembles angestrebt.

Klingenberg bezeichnete sich als „Schauspielerfan“. Er wandte sich gegen eine „blinde Vergrößerung des Ensembles durch große Namen“, es sei „in erster Linie sorgfältige Arbeit mit den vorhandenen Schauspielern“ vonnöteh. Ja, er erklärte, daß er nun in der Lage sei, den von ihm „so schmerzlich vermißten Kontakt mit den Schauspielern in Zukunft zu intensivieren“. Wie sieht dies aus? Es ereignet sich, daß eine im Februar erbetene „Audienz“ im Juni auf einen in anderen Bereichen

Maßgeblichen abschoben wird. Der Direktor ist einfach nicht zu sprechen, er hat nie Zeit für die Schauspieler, sie können ihre Probleme mit ihm nicht erörtern.

Und die Ensemblevertretung? Klingenberg hatte nach eigener Aussage vor, sie in allen Direktionsgeschäften mitarbeiten zu lassen. „Nichts ohne das Ensemble“, beteuerte er. Es sollte auch nichts publiziert werden, was er nicht vorher mit der Ensemblevertretung beraten hat. Und nun behauptet er, alles sei „in engster Zusammenarbeit“ mit ihr geleistet worden. Doch gibt es andere Stimmen, die erklären, der Direktor mache kurzerhand, was er wolle. Nicht einmal die Verständigung funktioniert, es kommt vor, daß etwa der Beschluß gefaßt wird, eine Institution nicht aufzulassen, die bereits aufgelassen ist. Nichts ohne das Ensemble?

Durch den Ehrgeiz, Proben auf viele Monate zu erstrecken, ergeben sich Unterbrechungen, es kommt zu keiner straffen Arbeit, die Schauspieler werden verstimmt, lustlos. Klingenberg läßt bis zu sieben Stücke gleichzeitig probieren, daher erfolgt dies auf Probebühnen und erst in den letzten zwei, drei Wochen auf der Bühne, auf der dann das Stück gespielt wird. Das ist für die Schauspieler höchst ungünstig, es erschwert das Einleben in die Rolle. Nun will Klingenberg die Zahl von 16 Premieren bis auf 22 erhöhen, das heißt, die Arbeitsbedingungen werden bei den Proben noch unerquicklicher.

Weitere Behinderungen ergeben sich durch den Schichtbetrieb, der für die Bühnenarbeiter eingeführt wurde. Man ging dabei von der Vorstellung aus, ein Theater sei wie eine Fabrik zu führen. Als Folge davon sind die Arbeiter durch den Schichtwechsel mitunter mit den zu leistenden Arbeiten nicht genug vertraut, wodurch sich Schwierigkeiten ergeben. Es kann auch sein, daß eine Garderobierin einer Schauspielerin erstmals bei der Premiere beim Umkleiden hilft, was begreiflicherweise die Nervosität erheblich steigert.

Geld ist genug da. Man ergibt sich dem Luxus. Das betrifft die Büros, das betrifft die Inszenierungen. So mußte eine Tür für eines der Bühnenbilder aus echtem Eichenholz bestehen, ein enormer Geldbetrag wurde damit vertan. Schon Karajan konnte sich davon überzeugen, daß nicht echte Damastkostüme auf der Bühne echt wirken, sondern vorgetäuschte. Auf den Schein kommt es hiebe! an, das müßte ein Bühnen-praktiker wissen.

Eine Reminiszenz: Bei einer der letzten Inszenierungen war vorgesehen, daß einer der Schauspieler in einem Raimund-Stück einen bekannten Politiker karikieren sollte. Klingenberg erschien knapp vor dem Beginn der Premiere, hörte davon und verbot dies. Daß da ein Schauspieler in die Gefahr eines Nervenzusammenbruchs gerät, versteht sich von selbst. Solch ein Verhalten eines Theaterdirektors ist unverständlich. Wie erklären sich aber nun all die Unzukömmlichkeiten? Klingenberg hat nie ein Theater geleitet, er übt das am Burgtheater, an unserer ersten Bühne, erst ein. Außerdem ist er noch sehr jung, man sagt, er habe das übersteigert Apodiktische eines Achtzehnjährigen. Dazu die allzu gute Meinung von sich, die manchen noch sehr Jugendlichen eigen ist. Dies sowohl als Theaterleiter wie als Regisseur. Übrigens Regisseur: Im Programmheft des Burgtheaters stand, er sei als Spielleiter zur internationalen Spitzenklasse durchgebrochen und er selbst sagt von sich, er habe als erster deutscher Regisseur gegolten.

Noch hat sich all das Unerquickliche nach außen hin, wie die „Candide“-Produktion erwies, nur in der fast ständigen Verschiebung der Premieren ausgewirkt. Es kann sich aber eines Tages in der Öffentlichkeit in aller Schärfe manifestieren.

Ein Kopfstand

Ein Gespenst geht um an den österreichischen Hochschulen: Der Frau - Minister - Firnberg - Entwurf eines Universitätsorganisationsgeset-zes („Furche“ 39/72). Dieser Gesetzentwurf wurde bekanntlich knapp vor Beginn der Sommerferien zur Begutachtung verschickt. Programmiertes Ende der Begutachtungsfrist: Mitte November. Man weiß, so ist zu hoffen, auch im Wissenschaftsministerium, daß an den Hochschulen das Semester eigentlich erst Mitte Oktober beginnt. Die Gremien der Hochschulen — also etwa Fakultäten, Rektorate und Institute — haben so nur wenige Tage Zeit, um den Entwurf zu beraten, weil ja schließlich auch die Rektorenkonferenz eine Meinung äußern soll. Oder sollen die Rektoren ohne ihre Fakultätskollegen urteilen? Das hieße, die Demokratie von den Füßen auf den Kopf zu stellen — und genau das wäre ein schlechtes Omen für die so vielbegehrte sogenannte Demokratisierung der Hohen Schulen ... Ganz abgesehen davon, daß der Motivenbericht des Gesetzentwurfes erst im September publiziert wurde.

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