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Grandioses Musiktheater in den Kammerspielen: Wolfgang Rihms Kammeroper erobert Herz und Sinne des Publikums.

Jetzt erst, 24 Jahre nach der Uraufführung in Hamburg und drei Produktionen in Österreich gelangte das mittlerweile meistgespielte Werk des Komponisten Wolfgang Rihm zu seiner Linzer Erstaufführung. Vielleicht sogar zu dessen Vorteil, denn das Publikum ist zeitgenössischem Opernschaffen gegenüber aufgeschlossener geworden.

Zur Erinnerung: Das Libretto schrieb Michael Fröhling nach Georg Büchners Novellenfragment über den schizophrenen Sturm-und-Drang-Dichter Jakob Michael Reinhold Lenz (1751-92). Büchner war im Zuge seiner Beschäftigung mit der Biografie von Lenz auf die Tagebücher des Pfarrers Oberlin gestoßen. Darin fand er dessen Notizen über die zunehmend bestürzender werdenden Zustände seines kurzzeitigen Gastes im Steintal. Büchner machte daraus das poetische, doch erschreckende Protokoll einer beginnenden paranoiden Schizophrenie. Fröhlings dramatische Vorlage und Rihms vielschichtiges musikalisches Psychogramm brauchen den Vergleich damit nicht zu scheuen. Dennoch dient die historische Figur dem Komponisten nach eigenen Worten nur als Folie für "die Darstellung eines Auflösungsprozesses im Verhältnis von Individuum und Gesellschaft". Lenz ist daher ein von dieser in die Enge Getriebener, aus der er nur einen Ausweg sieht. Seine Selbstmordversuche bleiben aber vergeblich.

Die schlichte Bühne auf der Bühne (Ausstattung Ute Lindenbeck) scheint Lenz eine Alternative zu bieten: ein breites Fenster in der Rückwand einer hellen Holzkonstruktion, durch die man eine Wiese sieht, grünende Freiheit, die er aber nie erreichen wird.

Zum einen berührt es angenehm, dass Brigitta Gillessen (Regie) entsprechend der emotionalen und affektgeladenen Musik ganz ohne Intellektualitätskeule auskam, Natürlichkeit und Gefühl zuließ und nicht zuletzt dadurch starke Wirkung erzielte. Zum anderen ist der junge Estländer Lauri Vasar in der Partie des Jakob Lenz ein außerordentlicher Glücksfall: Begabt mit einem voll tönenden Bariton, den er in jeder Stimmungslage, samtig oder von metallischem Klang, mühelos über mehr als zwei Oktaven führt; ergreifend in seiner facettenreichen Gratwanderung zwischen Genie und Wahnsinn, scheint er in der seelisch und geistig zerbrechenden Titelfigur aufzugehen. Erschütternd sein Bühnenende: Von Oberlin und seinem Freund Kaufmann mit Riemen gefesselt und allein gelassen, gelangt Vasar auf den Höhepunkt seiner Darstellungskunst. Seiner Identifikationsfähigkeit kommt die unter die Haut gehende Musik Rihms, vor allem in den die dramatische Verstörung charakterisierenden Figuren in optimaler Weise entgegen. Durch einen geschickten Kunstgriff wird Lenz' mehrfach gespaltene Persönlichkeit von innen nach außen gestülpt und durch "Sechs Stimmen" verkörpert. Eine davon sei hervorgehoben: Gotho Griesmeier mit ihrem klangschönen Sopran und den lupenrein intonierten Koloraturen, die Lenz für seine unglückliche Liebe Friederike hält. William Mason (Pfarrer Oberlin) und Thomas Scharr (Kaufmann) lieferten ihre sie hier wenig fordernden Rollen mit Anstand ab. Ingo Ingensand meisterte die musikalische Leitung des exzellenten kleinen Solistenensembles des Bruckner Orchesters Linz mit gewohnter Bravour.

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