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Der Sohn eines Jägers als berufener Zeuge einer bedrohten Kultur

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Im äußersten Nordosten Sibiriens, an der Beringstraße liegt die Tschuk-tschenhalbinsel. Dort lebt das nur 12.000 Einwohner \zäh-\

lende Volk der FOTO UNIONS VERLAG

Tschuktschen. Einer von ihnen ist der 1930 geborene Schriftsteller Juri Rytcheu. Die vier im Westen erschienenen Romane weisen ihn als genauen Kenner seines vergessenen Volkes sowie als Darsteller des Kulturwandels aus.

In dem 1992 erschienenen Roman „Wenn die Wale fortziehen" beschrieb Rytcheu mythisch die Entstehung des Menschengeschlechts: Nau, die Urmutter, heiratet Reu, den Wal, der aus Liebe zur Urmutter zum Menschen wird. Nau gebiert sowohl Wale als auch Menschen, womit die Verwandtschaft angesprochen wird.

In dem Roman „Teryky", 1993 auf Deutsch erschienen, gestaltet Rytcheu eine Sage der Tschuktschen: Wenn ein Polarjäger auf einer Eisscholle abtreibt, wird er zum Teryky, einem fellbewachsenen Ungeheuer, das Menschen tötet. Dem jungen Goigoi widerfährt ein solches Schicksal. Als er wiederkehrt, streiten in seinem Herzen der menschhche Anteil und das Ungeheuer.

Ein weiteres Porträt seines Volkes schuf der Dichter im Roman „Traum im Polarnebel". Der schwerverletzte Kanadier John MacLennan muß einen Winter lang bei den Tschuktschen bleiben, doch als er erkennt, daß ihr kärgliches Leben menschlich ungemein reicher ist als das Leben in der industrialisierten Gesell-

Schaft, gründet er eine Familie.

In dem 1994 erschienenen Roman ,i Unter dem Sternbild der Trauer" wird erneut der Zusammenprall der unterschiedlichen Kulturen dargestellt. Diesmal ist es der herrschsüchtige Leiter der Polarstation, der die Einheimischen wie Wilde behandelt.

Man sollte erkennen, daß Autoren wie Juri Rytcheu nicht nur darin ihre Bedeutung haben, daß sie Gedanken vergessener Völker retten, ehe sie für immer verschwinden, sondern auch indem sie aufzeigen, daß die Lebensbedingungen in fremden Kulturen zwar hart und entbehrungsreich sein können, daß es aber Alternativen zu unserer westlichen Kultur sind, die schützenswert sind und denen mit größtem Respekt zu begegnen ist. Juri Rytcheu wird am 19. Mai um 18 Uhr in der „Österreichischen Gesellschaft für Literatur" lesen.

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