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Erinnerungen eines Übersetzers

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LITERARISCHE PORTRÄTS. Von Hans Reisinger. Herausgegeben von Ulrich K. Dreikandt. 42. Ver-öffentlichung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt. Verlag Lambert Schneider, Heidelberg. 203 Seiten. DM 18.50.

Hans Reisinger — nomen est omen im tiefsten Sinn des Sprichworts — begegnete 1909 in Florenz Ernst Barlach, der ihm erstmals einen Lyrikband Walt Whitmans, die „Grashalme“, zeigte. Der Funke der Begeisterung zündete. Reisinger, dessen Schaffen als Romancier, Lyriker und Biograph begann, wendete sich der Nachdichtung zu und ging vor allem mit Walt Whitman in das literarische Bewußtsein seiner Zeit ein. Daneben widmete er sich der Übertragung mehrerer großer Prosaautoren aus dem englischen und französischen Sprachraum. Einige seiner gewichtigen Leistungen erschienen erst nach 1945. Dennoch, der am 28. April 1968 in einem Hotelzimmer in Garmisch Verstorbene gehörte schon der Vergangenheit an, der Literatur der Zwischenkriegs jähre, deren Namen für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts bereits Denkwürdigkeiten sind.

Die von Ulrich Dreikandt besorgte Auswahl aus biographischen Essays, die ursprünglich als Vor- oder Nachworte in den von Reisinger übersetzten Werken Whitmans, Mere-diths, Stracheys und Flauberts standen, vermittelt noch einmal das Bild eines überaus kritischen, sensiblen, distanzierten und dennoch begeisterungsfähigen Mannes, eines schöpferischen Nachschöpfers von begnadeter Intuition. Ein Aufsatz über Samuel Fischer skizziert den menschlichen Kontakt und den künstlerischen Kreis, dem sich Reisinger verbunden wußte. Ein stilles Buch. Nicht nur weil hier ein Toter über Tote spricht, sondern auch weil es einer Kulturschicht zugehört, die uns heute auf leisen Sohlen erscheint. Was aber durchaus auch eine akustische Entfernungs-täusehung sein kann.

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