7105073-1995_27_07.jpg
Digital In Arbeit

Lust an der Verhüllung

Werbung
Werbung
Werbung

Man heißt weder zufällig „Christo” noch verhüllt man . folgenlos ein Gebäude wie den Berliner Beichstag. Herr Christo hat quasi die Verhüllung ideologisch und politisch - und damit wohl auch religiös - wieder gesellschaftsfähig gemacht: Der verhüllte Beichstag oder ein Paradigmenwechsel auf dem Sektor medialer Vermittlung „dieser unserer Wirklichkeit”.

Schon Nestroy wußte, daß die „Träume von Schale und Kern” der Bealität weichen müssen, wenn das Objekt „abgeschält” wird, wenn man die Wirklichkeit ihrer schützenden

Hülle beraubt: Unverhüllt kannst du nicht lügen gehen. Die Wahrheit pflegt nicht grundlos das schmückende Beiwort „nackt” zu tragen. Man ziehe Menschen und Dinge aus, und sie werden preisgeben, was sie im Innersten zusammenhält.

Der österreichische Mensch weiß natürlich, daß die Bedeckung von Menschen und Dingen auch dem Schutz, der Barmherzigkeit und der Wahrung der persönlichen Lebenssphäre dienen kann, doch meist versteht er Bedeckungen politisch: Da will ihm jemand etwas verbergen. So etwas läßt sich der österreichische

Mensch nur gefallen, wenn er muß. Denn in ihm wohnt die Lust, der Wirklichkeit die Maske vom Gesicht zu reißen oder wenigstens einen verstohlenen Blick hinter den Vorhang oder die Kulissen zu tun.

Und da der österreichische Mensch gern seine Bisiko-freude verbirgt, läßt er das andere für sich tun. Zu diesen apokalyptischen Handlangerdiensten sind bekanntlich die Journalisten erfunden worden. „Enthüllungsjournalismus” übt bis heute eine große Faszination aus: hier wird der bürgerlichproletarisch-intellektuelle Bildungshunger gestillt. Interessant ist nur, was einem andere verbergen wollen.

Und dann kommt dieser Herr Christo und desavouiert die nackte Wirklichkeit. Will man wissen, wie Menschen und Dinge sind, dann muß man sie verhüllen, demonstrierte er. Erst die verhüllte Wirklichkeit gibt ihr Geheimnis preis, indem sie es behält. Erst die Verhüllung gibt der Wirklichkeit ihre Konturen zurück, erst die anschmiegsame Hülle verrät den Zustand des Kerns. Vielleicht könnte uns die Verhüllung des Parlaments wieder bewußt machen, was wir an ihm haben.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung