Literaturwissenschaftliche Fragen vor Gericht

Werbung
Werbung
Werbung

Kritiker bekamen „Ruhm“ vorab nur zu lesen, wenn sie in einer „Vertraulichkeitserklärung“ zustimmten, keine Besprechung vor dem 16. Jänner zu publizieren. Ansonsten drohte Rowohlt mit einer Strafe von 250.000 Euro. Im Rennen um den ersten Bericht hat der Spiegel bereits am 5. Jänner in Sonderabsprache mit Rowohlt ein Kehlmann-Porträt veröffentlicht. Der Verlag klagt den Spiegel trotzdem, weil der Artikel statt eines Porträts über weite Strecken eine Rezension darstelle.

Medien erhalten Leseexemplare neuer Bücher lange vor dem Erstverkaufstag, um zeitgerechte Besprechungen zu ermöglichen. Mit Sperrfristen wollen Verlage dann die Berichterstattung steuern. Sie sollen verhindern, dass Kritiken vor dem Verkaufsstart erscheinen und zum – für den Verlag – richtigen Zeitpunkt für eine gehäufte Berichterstattung sorgen. Denn ein neues Buch verkauft sich gleich oder gar nicht.

Um medial im rechten Licht zu erscheinen, lassen sich Kulturproduzenten einiges einfallen. Die Kulturindustrie umsorgt Journalisten gütlich, damit diese etwas Nettes schreiben. Wenn sich aber Journalisten zu Rädchen im PR-Betrieb der Kulturindustrie degradieren lassen, geschieht das zum Nachteil der Leserschaft, statt Information gibt es dann Werbung.

Sperrfristen sind eine gegenseitige Abmachung. Ob sie rechtlich bindend sind, muss jetzt das Gericht entscheiden. Im Spiegel-Porträt kommt auch Daniel Kehlmann selbst ausführlich zu Wort und darf „Ruhm“ als sein bislang bestes Werk anpreisen. Hat Kehlmann nicht auch die Sperrfirst gebrochen, und müsste er jetzt nicht von seinem eigenen Verlag verklagt werden, fragte sich daraufhin die Zeit?

Der Spiegel liegt falsch, wenn er mit einer frühen Besprechung die Vorreiterrolle einnehmen will. Die Rolle des Meinungsführers wird der qualitativ hochwertigsten Kritik vorbehalten sein. Das Nachrichtenmagazin führt seine Leserschaft in die Irre, wenn es ein Buch beschreibt, das es noch gar nicht gibt. Aber auch der Rowohlt Verlag schlägt einen bedenklichen Weg ein, denn kein Ort ist ungeeigneter als das Hamburger Landesgericht, um literaturwissenschaftliche Fragen zu klären.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung