„Märchen sind kein Kinderkram“

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Christa Schmollgruber hat das Märchenerzählen zum Beruf gemacht. Was fasziniert sie an der Welt der Hexen, Feen und Zwerge? Von einer, die auszog, Kinder wie Eltern, Brautleute wie Manager das Hören und Staunen zu lehren.

Gong! Behutsam klopft die Frau mit dem wallenden Haar auf ihre Klangschale und zaubert damit mystische Klänge in die Luft. Erst, als sie verklungen sind, hebt Christa Schmollgruber den Blick. „Es war einmal ein Bub, dem war seine Mutter gestorben“, erzählt sie mit geweiteten Augen der kleinen Runde, die vor ihr im taunassen Gras auf ihren Jacken hockt. Und plötzlich tut sich ein neues Universum auf: von bösen Stiefmüttern und noch böseren Hexen, von Kröten und Stinkkäfern, von hartherzigen Bauern, warmherzigen Mägden – und einer strahlend-hellen, guten Fee.

Drei Mädchen, drei Mütter und eine Oma hängen an Schmollgrubers Lippen. Im Rahmen des wienXtra-Ferienspiels sind sie frühmorgens zum Lusthaus im Wiener Prater gekommen, um Märchen über „Berge, Bäume, tiefe Tümpel“ zu hören. In den vergangenen zwei Jahren sei der Andrang größer gewesen, wird die 47-Jährige etwas später sagen. Mit bis zu 30 Teilnehmenden sei sie durch die Prater-Au oder den Augarten gestapft. „Heuer sind eher die Aktivitäts- und weniger die Kreativitätsangebote gefragt“, konstatiert die Märchenerzählerin. Insgesamt könne sie jedoch nicht über mangelndes Interesse klagen. Ob für Kindergärten oder Manager, Geburtstagsfeiern oder Hochzeiten, Tourismusverbände oder regionale Festspiele: In die Welt der Märchen einzutauchen, sei eben en Vogue.

Von der Biologin zur Märchenerzählerin

Dass sich Christa Schmollgruber einmal erzählend ihren Lebensunterhalt verdienen würde, hätte sie sich nie träumen lassen. 1963 in Bruck an der Mur als Tochter eines Montanistikers geboren, ist ihre Kindheit von zahlreichen Umzügen zwischen Österreich und Deutschland geprägt. In diesen Jahren ständiger Veränderung werden die Märchen, die ihr der Großvater in den Ferien erzählt, zur wichtigen Konstante. Bald denkt sich das fantasiebegabte Mädchen, das gern den Wald durchstreift, selbst Geschichten aus und trägt sie den Geschwistern vor.

An eine berufliche Verwertung dieser Leidenschaft ist aber vorerst nicht zu denken. Schmollgruber beginnt das Biologiestudium in Graz, verfasst ihre Diplomarbeit an der Universität Wien über Meeressäuger und beginnt als Umweltpädagogin zu arbeiten. Mit ihrem „Ost-West-Kooperationsbüro“ stattet sie nach dem Fall des Eisernen Vorhangs Schulen in Zentral- und Osteuropa mit umweltpädagogischen Materialien aus. Die darin thematisierten Entstehungsgeschichten von Mensch und Umwelt erwecken neuerlich ihr Interesse an Märchen – und ihre „Biologie“: „In Büchern sind Märchen ja festgeschrieben“, weiß Schmollgruber. Erst durch das mündliche Erzählen würden sie lebendig. Um ihr Interesse an diesem Erweckungsprozess zu stillen und sich selbst wieder „aufzuladen“, nimmt sie an einem Lehrgang der Märchenerzählerin Margarete Wenzel teil – und entdeckt ihr eigenes Potenzial. Als schließlich die Gelder für ihr Kooperationsbüro gestrichen werden, macht sie sich selbstständig.

An die Reaktion der Sozialversicherung erinnert sich Christa Schmollgruber noch heute: „Es waren immer die gleichen Fragen: Ist das ein Beruf? Kann man davon leben? Wie wird man Märchenerzählerin?“ Mittlerweile haben namhafte Kollegen wie Folke Tegetthoff oder Helmut Wittmann – und nicht zuletzt Schmollgruber selbst – gezeigt, dass es tatsächlich einen Markt für Märchen gibt. Der Einsatz beim wienXtra-Ferienspiel, für den die Teilnehmenden drei Euro entrichten und die Gemeinde Wien sponsernd beispringt, gehört ebenso in Schmollgrubers Portfolio wie CD-Produktionen mit anderen Künstlern oder Persönlichkeitsberatungen anhand von Märchen. „Typisch für Märchen ist ja die Symbolsprache“, erklärt Schmollgruber, die sich auf die Bereiche Kommunikation und Konfliktmanagement spezialisiert hat. „Jede Person, die darin vorkommt, verkörpert einen Teilaspekt der eigenen Persönlichkeit.“ Möglichst neutral und ohne manipulative „Botschaft“ erzählt, könnten die Zuhörenden mit ihren inneren Bildern und Gefühlen in Berührung kommen. „Märchen sind also kein Kinderkram“, betont die Erzählerin. Das zeige sich nicht nur daran, dass Kinder oft ängstlich auf Märchen reagierten, sondern dass so mancher Manager beim Zuhören Tränen verdrückt. Ihr selbst liegen vor allem Geschichten über starke Frauen am Herzen. Das norwegische Märchen vom „Lumpenhut“ gehört für die „überzeugte Single-Frau“ in diese Kategorie.

Heute, beim Streifzug der Sechs- bis Zehnjährigen durch die Prater-Au, steht freilich Österreichisches am Programm. Dass ihr nur Frauen lauschen, sei durchaus typisch, sagt die 47-Jährige. Dass nur Mädchen an ihren Lippen hängen, hingegen nicht. Ob so oder so: Ihr Abschieds-Gag – die „Kokosnuss mit Reißverschluss“, prall gefüllt mit Märchenmurmeln und Muggelsteinen – stößt jedenfalls bei jedem Geschlecht auf Hallo. Die glitzernden Give Aways sollen Kinder wie Erwachsene an die Geschichten erinnern – und ihnen Neue flüstern. „Vielleicht werden sie dabei merken, wie viel Kraft im gemeinsamen Erbe der Märchen steckt“, erzählt die Frau mit den wallenden Haaren, nachdem der Abschieds-Gong verklungen ist. „Das gibt mir auch Hoffnung für die Zukunft: Dass es mehr Gemeinsames als Trennendes gibt.“

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