Mehr Mut zum eigenen Urteil

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"Dinge, die wir nicht verstehen“ hieß vor vielen Jahren eine Ausstellung in Wien. Ein provokanter Titel als Plädoyer für das Komplizierte, für die ästhetische Transformation, die eine Hürde vor der schnellen Lesbarkeit errichtet. Verschlüsselung, so die These, sei in der Kunst fruchtbar, wenn sie das Verstehen nicht verhindert, sondern den Vorgang des (Nicht-)Verstehens bewusst macht und verändert.

Im Kopf geblieben ist mir der Mut, mit dem das Kuratorenduo Buergel/Noack seine eigene Verstörung vor manchen Kunstwerken zum Thema gemacht hat. Ja, auch wir Kunstprofis verstehen nicht immer alles auf den ersten Blick, und manchmal bleibt nachhaltig ein unaufgelöster Rest. Vielleicht stehen diese verflixten Knoten im Zentrum der (meiner) Freude an Kunst. Vielleicht ist es die Lust am Herumwurschteln an diesen Knoten, die wir zu vermitteln lernen sollten.

Auch wir erleben unsere Enttäuschungen, manchmal unerwartet. Eine große Edward-Hopper-Schau, das muss doch ein Fest sein! Doch dann trabt man von Saal zu Saal, begegnet allen Bildern, die man vereinzelt im Original gesehen hat, die seit der Studienzeit als Postkarten von Pinnwand zu Pinnwand mitgewandert sind, sieht die Fülle von "Nighthawks“ über all den neuenglischen Sommerabenden und New Yorker Morgen, die Leuchttürme, Holzhäuser, die großbusigen Frauen und huttragenden Männer in Hotelzimmern - und denkt: wie flach. Denkt, dass dieser Hopper ein ziemlich mittelmäßiger Maler war. Der kein Gesicht zusammengebracht und sich bei den Farben vertan hat. Und dessen Bilder man - leider - versteht, von Rand zu Rand. - Hochmut, werden Sie mir vorwerfen. Ach, lassen Sie mir mein Urteil und werden Sie mutig mit Ihrem. Nur dazu will ich Sie provozieren. Und wenn Sie etwas nicht verstehen, schalten Sie nicht ab, sondern in den nächsthöheren Gang.

* Die Autorin ist Direktorin des Lentos Kunstmuseums Linz

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