Mehr nachdenklich als kauzig

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Österreichische Erstaufführung von Bernhards "Der Schein trügt" im Theater in der Josefstadt.

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Österreichische Erstaufführung von Bernhards "Der Schein trügt" im Theater in der Josefstadt.

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Abermals hat Thomas Bernhard sein Lieblingsmaterial samt seinen Obsessionen umgruppiert, doch noch nie war er so voller Selbstironie, so verkauzt und unverblümt komisch wie in "Der Schein trügt", schrieb Georg Hensel nach der Uraufführung durch Claus Peymann 1984 am Bochumer Schauspielhaus. Seine Worte stimmen angesichts Dieter Giesings Inszenierung im Wiener Theater in der Josefstadt nachdenklich. Hat Peymann, der durch mehr als zehn Bernhard-Uraufführungen Maßstäbe gesetzt hat, nicht auch die Sicht auf das dramatische Werk nachhaltig mitgeprägt?

Giesing hat sich die Frage offensichtlich gestellt, denn die Wiener Erstaufführung bietet, trotz des (alten) Bühnenbildners Erich Wonder, einen bewussten Gegenentwurf. Weniger die verkauzte Seite des Autors tritt zutage, sondern seine nachdenkliche. In der düsteren Gruft über den Dächern Wiens räsonieren die Brüder Karl, ein ehemaliger Jongleur, und Robert, ein Schauspieler, über Mathilde. Sie war Karls Lebensgefährtin, ihr Wochenendhäuschen hat sie aber Robert vermacht. Wieso? Die Frage nistet in Karls Hirn, und er wird sie auch nicht beantworten können.

Hans-Michael Rehberg verkörpert diesen Karl, der 30 Jahre an der Seite einer Frau gelebt hat, um erst nach ihren Tod über ihre Existenz nachzudenken. Mit der Unbeugsamkeit eines störrischen Esels, eines Despoten, dem der Untertan abhanden gekommen ist, und verstört durch seine plötzliche Einsamkeit, weigert er sich zu erkennen, was das Publikum bald ahnt. Nicht ihn, sondern seinen Bruder, den Helmuth Lohner zurückhaltend verkörpert, hat Mathilde geliebt.

Ein gediegener Abend, der die Aufmerksamkeit auf die kleine Geste lenkt, die Vielschichtigkeit im sorgsam gewählten Ton aufspüren lässt.

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