Menschen, die Vertrauen schenken

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Eben lese ich "Lob der Meisterschaft“ von Tanizaki Jun’ichiro. Vor Jahren schon habe ich sein "Lob des Schattens“ gelesen. Mit großem Gewinn begegne ich dem japanischen Autor nun wieder. Was ist das Besondere? Mir scheint, es besteht in einer bestimmten Form des Sprechens. Sprechen, ja, denn aus diesen Büchern spricht mich jemand an. Es entsteht eine sehr ungewöhnliche Form von Vertrautheit. Keine Belehrung, keine intellektuelle Akrobatik, keine klugen Ratschläge oder kritischen Gedanken aus der Distanz des abseits Stehenden. Hier spricht jemand, der mich mit etwas vertraut machen will, das ihm sehr wichtig ist. Wie ein Freund es tut. Tanizaki Jun’ichiro erinnert mich an Lu Xun, den großen chinesischen Autor. Dieser Ton einer vertrauten Nähe, einer ganz unaufdringlichen, sehr stillen Herzlichkeit. Er ist in Europa wenig zu finden. Walter Kappacher spricht auf eine verwandte Weise.

Heute wird sehr viel geredet, gesprochen, gedacht, reflektiert, diskutiert, kritisiert, kommentiert, analysiert. Es fehlt nicht an klugen Köpfen, die zum Stand der Dinge Wichtiges zu sagen haben. Sie weisen nachdrücklich darauf hin, wo es fehlt und wie es weitergehen sollte. Es gibt Aufrufe, Erklärungen, Forderungen.

Wenn ich mir all das räumlich vorstelle, als eine Architektur, dann gleicht es einem der kühlen, makellosen, wohldurchdachten und zugleich völlig sterilen Gebäude, die jetzt so zahlreich errichtet werden. Sie fordern Schnelligkeit und Schärfe. Doch sie lassen keine Vertrautheit zu. Vertrautheit schenkt der Straßenkehrer, der den Gehsteig mit Sorgfalt reinigt. Oder die alte Frau, die ihren Hund geduldig begleitet. Was mir fehlt, in der Kunst, in der Politik, in der Kirche, sind Menschen, die Vertrautheit schenken.

* Der Autor ist Kunsthistoriker und Rektor der Jesuitenkirche in Wien

Lob des Schattens

Entwurf einer japanischen Ästhetik.

Von Jun’ichiro Tanizaki

Manesse 2010

91 Seiten, geb., e 15,40

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