Nach Afrika!

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Arnold Stadler: Große Prosa in kleinster Form.

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Arnold Stadler: Große Prosa in kleinster Form.

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Der Bücherwurm gehört zur Sorte Menschen, die das Glück stets woanders suchen. Sonst würde er sich nicht in seine Wunschländer träumen oder ins fabelhafte Biblioversum stürzen. Ein solcher Phantast ist auch der Ich-Erzähler Engelbert in Arnold Stadlers kleiner Erzählung. Sein Sehnsuchtsland heißt Afrika; einmal wenigstens muß er dorthin, auch auf die Gefahr, daß sein Kindheitstraum zerplatzt.

"Das Unglück zu Hause rührte allein von daher, glaubte ich, daß bei uns im Hotzenwald keine Palmen wuchsen." Welch ein Versprechen in diesem ersten Satz! Und der Leser wird nicht enttäuscht: "So war ich schon als Kind unter ein Palmenposter geflüchtet und unter ihm, von der Viehverladearbeit weg, unter den Palmen von Samoa hinweggeschlafen. Oft kamen Palmen vor in meinen Träumen. Von den sieben Jahren, die ein Mensch durchschnittlicher Lebenserwartung träumt, habe ich bestimmt ein Jahr mit Palmen und dem Meer verträumt." Gegen das Unglück hilft in diesem Fall nur das Reisen.

Also unternimmt der mit 1,59 Metern etwas kurz geratene traurige Tropf den Ausflug nach Afrika, mit Zwischenstation in Lissabon, wo er endlich mit dem Rest der Menschenwelt auf gleiche Kopfhöhe gelangt, aber in all seiner Tristesse mit den Bewohnern der Welthauptstadt der saudade längst nicht mithalten kann. Er hat sie sich "trotz allem etwas tragisch-aufgerichteter vorgestellt ... obschon sie durchaus geknickt-heroisch dasaßen. Ich hatte sie mir strenger, ernster, unerbittlicher, pessoa-artiger vorgestellt als ihre durchaus stolzen, aber dabei kindischeren und leichtlebigeren Verwandten am Mare Nostrum", philosophiert der Gast aus den Gefilden um das "Schwäbische Meer".

In Guinea-Bissau gerät der Verzweiflungshanswurst Engelbert in die Obhut der Krankenschwester Adeltrudis, doch deren missionarischer Eifer für die Gesundheit entpuppt sich als geldgeile Luderei: wieder ein entzauberter Traum. Aber wenigstens hat er das richtige Meer gesehen und die echten Palmen und, ein bißchen, sein Fernweh gelindert. Zurück im Land der deutschen Linde bleibt ihm das Wissen, daß es ein Leben gibt "jenseits der deutschen Bank, ganz ohne Bankomaten und ohne die Angst vor der Insolvenz". So hockt er wieder im Hotzenwald, sich selbst belächelnd. Und der Leser schmunzelt mit.

Stadlers Geschichte kommt federleicht daher, er ironisiert spielerisch die Klischees vom Eigenen und Fremden, erzählt von Allerweltssehnsüchten und garantiert enttäuschten Hoffnungen und hält Komik und Tragik traumwandlerisch sicher in der Schwebe. Engelberts Streifzüge durch Lissabon gehören zum Schönsten, was in deutscher Sprache seit Reinhold Schneider oder Thomas Bernhard über Portugal geschrieben wurde. In feiner Ausstattung (für die der Verlag einen Preis verdient hätte) präsentiert sich hier ein literarisches Kleinod, will sagen: große Prosa.

Ausflug nach Afrika Von Arnold Stadler Edition Isele, Eggingen 1997.

50 Seiten, öS 204,

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