Nach den Agenten die Mafiosi

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John le Carre entwickelt in "Single & Single" ein Tausend-Teile-Puzzle für geduldige Leser.

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John le Carre entwickelt in "Single & Single" ein Tausend-Teile-Puzzle für geduldige Leser.

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Diese Pistole ist keine Pistole" denkt Mr. Winser, aber am Ende des ersten Kapitels ist er tot. John Le Carres neuer Roman "Single & Single" beginnt mit einer Folterszene. Erster Schauplatz: Türkei. Nächster: Südengland. Mr. Oliver Hawthorne betritt die Romanbühne "groß wie ein Berg in seinem Wolfsmantel, den er bei jedem Wetter trug", geistesabwesend und tolpatschig, eine liebenswert bizarre Figur, die man zunächst als Zauberonkel Ollie kennenlernt. Mit Nat Brock, dem aus London am türkischen Tatort angereisten Mann aus dem Außenministerium, taucht man ein in die Welt der verschlüsselten Botschaften, der Informanten und der gar nicht sauberen Geschäfte.

Ost-West Spionage ist out. Geldwäscherei und Drogenkriminalität sind im Vormarsch. Bei John le Carre und anderen Autoren dieses Genres ebenso wie in der Wirklichkeit. Die schmutzigen Geschäfte mit dem wilden Osten blühen. Der Schauplatz bleibt also aufrecht, nur das Thema wechselt. Es geht um die verwirrende Welt der Geldwäscherei, Steuerhinterziehung, um ein fiktives Firmenimperium mit Gesellschaften in aller Welt - Transfinanz Wien, Stiftung in Liechtenstein, Gesellschaft in Antigua, Single Holdings off shore mit Büros in Istanbul, Moskau, Petersburg, um den Handel mit Öl, Schrott, Blut und Drogen. Die Wirklichkeit hat den Autor soeben überflügelt - bis in die russische Präsidentenkanzlei reichen bei ihm die Netze der Geldwäscherei noch nicht.

Es geht aber auch um Menschen, böse und gute - auf jeden Fall aber meisterhaft geschilderte. Da ist vor allem der Protagonist, nach mühsam absolviertem Jurastudium endlich ein eifriger Neueinsteiger im Single-Imperium, bald in ständigem Kampf mit seinen Gefühlen, mit seinem Rechtsempfinden und seiner ambivalenten Beziehung zu seinem kleinen Vater. Er ist müde und verwirrt in seinem Kampf um Moral und Loyalitäten und sehr oft verliebt.

"Und der Briefträger ist glücklich. Nicht glücklich glücklich, denn Oliver glaubt nicht an Glück als erreichbaren Idealzustand. Sondern aktiv glücklich. Kreativ glücklich. Behutsam verliebt glücklich, wenn es denn Liebe ist, was er für Nina empfindet. Glücklich auch mit seiner Arbeit - solange die Arbeit darin besteht, Jewgenij und Michail und Tinatin zu besuchen, und vorausgesetzt, der heimtückische Schatten Hobans schwebt nicht allzu sehr in seiner Nähe."

Die Bösewichter sind bezeichnenderweise ehemalige Geheimdienstler sowjetischer und polnischer Provenienz, aber auch hohe britische Beamte. Die differenzierte Schilderung der Charaktere ist eine besondere Stärke dieses Autors, ebenso wie die Beschreibung minutiöser Details, die Situationen, landesspezifische Eigenheiten und Menschen besonders plastisch vor dem inneren Auge des Lesers erstehen lassen. Die komplizierten Handlungsstränge entwickeln sich nur langsam, verwirrt tappt man zunächst im Dunkeln. Nur hie und da ein Blitz der Erkenntnis. Wie bei einem Tausend-Teile-Puzzle findet sich anfangs nur selten ein passendes Stückchen, aber die Geduld wird belohnt. Die Funde mehren sich, die Spannung hält an. Die Geschichte nimmt langsam Gestalt an, jedoch das Puzzle bleibt schwierig bis zum Schluß.

Single & Single Roman von John le Carre, Übersetzung: Werner Schmitz, Kiepenheuer & Witsch, Köln 1999 414 Seiten, geb., öS 329,- /e 23,91

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