Natur betrachten statt verachten

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Zum 150. Todestag des Philosophen Friedrich Schelling.

Der deutsche Philosoph Friedrich Wilhelm Joseph Schelling war ein Verwandlungskünstler. Seine Philosophie zeichnet sich durch Widersprüche, Korrekturen, immer neue Anläufe und den Wechsel von Perspektiven aus; sie ist gleichsam eine Philosophie im Entstehen, die sich nicht scheut, ihre Ausbildung öffentlich vorzuführen. Schelling begann als rebellischer Student im Tübinger Stift, wo er mit Friedrich Hölderlin und Georg Friedrich Wilhelm Hegel gegen die rigide Hausordnung protestierte. Mit Johann Gottlieb Fichte begründete er den deutschen Idealismus, der vom absoluten Ich ausging, das "sich selbst setzt" und nur "aus sich und durch sich selbst besteht".

Freiheit - Motor des Denkens

Bald korrigierte Schelling diese Konzeption und wandte sich der Naturphilosophie zu. In seinem Gedicht "Epikuräisch Glaubensbekenntnis Heinz Widerporstens" formulierte er materialistische Gedanken: "Die Materie sei das einzig Wahre / Unser aller Schutz und Rater." Schelling entwarf danach eine Transzendentalphilosophie, die eine "Geschichte des Selbstbewusstseins" nachzeichnete und dachte über die Freiheit nach, die er als "das A und O aller Philosophie" betrachtete und entwarf eine Theorie der Kunst, die er als "den Gipfel der Philosophie" bezeichnete. Mit dem Versuch, die "Geschichte des Selbstbewusstseins" mit der Naturphilosophie zu einer Identitätsphilosophie zu vereinen, war er selbst nicht zufrieden. Nach einer schweren Schaffenskrise befasste er sich mit der Mythologie und endete als Apologet der christlichen Theologie.

Geboren wurde Schelling am 27. Jänner 1775 als Sohn einer frommen Pastorenfamilie. Gemeinsam mit Hölderlin und Hegel studierte der äußerst begabte Schelling im Tübinger Stift. Nach einem Zwischenspiel als Hofmeister erhielt er durch die Vermittlung von Johann Wolfgang von Goethe eine Professur in Jena, wo auch Fichte lehrte, mit dem er eng zusammenarbeitete. In Jena lernte er auch die Romantiker Friedrich Schlegel, Ludwig Tieck und Novalis kennen, die vor allem seine Naturphilosophie begeistert aufnahmen. Es herrschte der Geist der "Symphilosophie", des gemeinsamen Gedankenaustausches, der die Grenzen von strenger philosophischer Wissenschaft und Poesie sprengte.

Natur als Ganzheit

Vor allem Schellings Naturphilosophie ist heute - besonders für die Ökologiebewegung - noch aktuell, während seine spekulative Identitätsphilosophie und die Ausführungen zur Mythologie und Theologie wohl nur mehr Philosophiehistoriker interessieren. Natur bedeutet für Schelling nicht tote Materie, die möglichst effizient verwertet werden soll, sondern vielmehr die "Fülle der Wirklichkeit", die von einem "freundlichen Geist" geleitet wird. Die Natur ist für ihn ein wohlgeordneter Organismus, vergleichbar mit einem Gedicht, "das in geheimer wunderbarer Schrift verschlossen liegt". Und Novalis findet in der Natur "ein ewiges, tausendstimmiges Gespräch, worin alles mit allem verbunden sei". Dieses einfühlsame, ganzheitliche Naturverständnis steht im Gegensatz zur Verwertungslogik der Industriegesellschaften, die Natur als Objekt einer optimalen Profitmaximierung betrachtet. Schelling bekämpft aber auch den kalten Objektivismus der Naturwissenschaften, die den lebendigen Gesamtzusammenhang der Natur negiert.

Beim späten Schelling tauchen jedoch noch andere Facetten der Natur auf. Nach dem Tod seiner geliebten Frau Caroline im Jahre 1809 verfiel er in eine schwere Depression, die von einer lange anhaltenden Schaffenskrise begleitet wurde. Ähnlich wie bei Francisco Goya verwandelte sich die heitere, harmonische Guckkastenbühne der Welt und der Natur in einen finsteren Abgrund. In diesem Reich regieren Trieb, Sucht, Begierde, Angst, das Böse, der Wahnsinn und der Tod. Es ist eine geheimnisvolle Welt des Abgründigen, wie sie etwa E.T.A. Hoffmann in seinem Roman "Die Elixiere des Teufels" schilderte.

Schelling, der nach seiner schweren Krise kaum noch Bücher publizierte, verstarb am 20. August 1854. Davor unternahm er in seinem Werk "Philosophie der Offenbarung" - so der Philosoph Eduard von Hartmann - "eine letzte gewaltsame Anstrengung, um das wankende Christentum in seinem ganzen positiven Inhalt" wiederherzustellen.

Der Autor ist Mitarbeiter der Ö1-Wissenschaftsredaktion.

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