Nebulose "Dämonen"

19451960198020002020

Dostojewski-Dramatisierung in Castorf-Regie an der "Burg".

19451960198020002020

Dostojewski-Dramatisierung in Castorf-Regie an der "Burg".

Werbung
Werbung
Werbung

Frank Castorf bleibt seinem Ruf treu. Er zerlegt literarische Vorlagen in ihre Bestandteile und setzt daraus und aus viel neckischem Regietheater-Beiwerk ein neues Mosaik zusammen. Daß dabei einige gut placierte Steinchen trotz allem - und vielleicht sogar in dem nebulosen Drumherum umso mehr - Wirkung erzielen, sei unbestritten, aber ist das wirklich gutes Theater?

Auf dem Programm dieser Festwochenpremiere im Wiener Burgtheater steht eine Dramatisierung des rund 130 Jahre alten Dostojewski-Romans "Dämonen" durch Albert Camus, die Castorf in bewährter Manier weitgehend unkenntlich gemacht hat. Nicht weil Castorf von der Vorlage viel übriggelassen hat, sondern weil er den Abend quälend dehnt, dauert die Aufführung viereinhalb Stunden.

Dafür darf das Publikum so geniale Einfälle wie rein akustisch kaum verständliche Gespräche in einem auf die Bühne (Bert Neumann) gesetzten kleinen Häuschen und regelmäßige Plumpser in einen Swimmingpool bewundern. Ja, ja, will uns Castorf wohl sagen, die Revolutionäre von einst sind biedere Fertigteilhausbesitzer geworden und geben sich mit Swimmingpool, Fernsehen, Rauchwaren, Alkohol und Sex zufrieden. Und weil wir in Rußland sind, erklingt neben gängiger moderner Musik oft Klavierspiel und einmal auch Gilbert Becauds "Nathalie". Aber der Bogen zur Gegenwart und ihren Problemen wirkt oft überspannt. Die Form verdrängt den Inhalt, der Drang zum effektvollen Event den Geist.

Das Räsonieren über Terror und Revolution, über das russische Volk und Gott, über Dämonen und Obsessionen besitzt nur in der Mitte des Abends ein bißchen Tiefgang, davor und danach herrscht eher Geistlosigkeit. Daß der Regisseur bisweilen von allen guten Geistern verlassen scheint, ist ihm vielleicht nicht vorzuwerfen, denn es geht ja, so auch die Neuübersetzung, um "böse Geister". Aber auch die macht Castorf leider nur in Ansätzen spürbar, Masken wie aus dem Film "The Scream" reichen da nicht, schon gespenstischer ist der talkshowmäßige Auftritt des Experten Schigaljow, der die Tötung von 100 Millionen empfiehlt, und dann zur Autogrammstunde schreitet.

Gespielt wird, allen voran von Henry Hübchen, Milan Peschel und Martin Wuttke, glänzend, gesprochen oft zu leise und undeutlich. Gegen Schluß geht Castorf sichtlich die Luft aus.Einmal mehr verläßt der Kritiker eher entgeistert als begeistert die "Burg".

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung