Gott, Geld und Glück

Werbung
Werbung
Werbung

"Süßer Vogel Jugend" von Tennesse Williams in der Regie von Frank Castorf bei den Wiener Festwochen.

Nach den Dramatisierungen von Klassikern der russischen Literatur widmet sich der Berliner Theatermacher Frank Castorf heuer wieder Tennessee Williams, mit dessen "Endstation Sehnsucht" er vor einigen Jahren bei den Salzburger Festspielen reüssierte. Für die Wiener Festwochen hat er diesmal Williams' "Süßer Vogel Jugend" bearbeitet. Vor der Folie des Südstaatendramas thematisiert Castorf den Konflikt zwischen Ost und West. Nach dem Ende des Kalten Krieges ist der Kampf nicht mehr kontrollierbar und in der Globalisierung aufgegangen.

Es ist die Geschichte von "Boss" Tom Finley, einem Rassisten aus den Südstaaten, der in der Maske des puritanischen Moralisten mittels christlicher Rhetorik systematisch seine Machterweiterung betreibt. In dieser Welt, in der soziales Prestige als oberstes Gesetz gilt, stehen die Filmdiva Alexandra del Lago und ihr Freund Chance (!) Wayne für die Korrumpierbarkeit einer Gesellschaft, deren einziger Maßstab äußere Werte, Jugend, Reichtum und Ruhm sind.

Castorf erzählt "Süßer Vogel Jugend" als Geschichte des moralischen Terrors der USA, er entlarvt das amerikanische Selbstbild der Sittlichkeit und Korrektheit als System der Doppelmoral, hinter der sich maßlose Gewalt und unzügelbare Triebhaftigkeit verbergen.

Bert Neumanns Bühne stellt eine Insel irgendwo in den Tropen dar, auf der sich Konvention und Revolte untrennbar nebeneinander behaupten. Castorf steht ganz in der Tradition von Bert Brecht, er stellt aus und entlarvt nicht nur Formen des weißen, puritanischen, kapitalistischen Systems des Westens, sondern auch das eigene Medium. So ist die Bühne eine Bühne auf der Bühne, ein gelbes Tropen-Zelt unter dem ein Display das Geschehen kommentiert und durch den Effekt der Verfremdung die Illusion des Theaters fortwährend bricht. Eine Plastikwand symbolisiert die "vierte Wand", die unsichtbare Trennlinie zwischen Bühne und Publikum. Denn Castorf blickt dazwischen und hinter die schönen Scheinwelten. Wie das Theater letztendlich nur ein Fake ist, so ist Chances Liebe zu Alexandra nur ein Fake, um beruflich voranzukommen, ebenso wie Bill Finleys Predigten, die seine faschistischen Herrschaftsbestrebungen legitimieren.

Volker Spengler zeichnet ihn als Bush-Karikatur, der sich in seiner Kriegserklärung gegen den Irak auf Gott bezieht und den Gesetzen der höheren Macht folgend die eigene Verantwortung negiert. Kathrin Angerers Filmdiva zeigt den verzweifelten Kampf in einer Spaß- und Jugendkultur um sexuelle Attraktivität und gute Laune. In der Entertainmaschine Amerika müssen Krankheit und Tod ausgerottet werden. Formal reagiert Castorf mit steter Videodokumentation des Bühnengeschehens als Antwort auf den Terror des Fernsehvoyeurismus. Martin Wuttke als Chance präsentiert eine großartige Show der Gefühle.

"Forever young": De facto ist der Titel dieser Produktion mit Ironie zu sehen, denn das Publikum kann die Protagonisten beim mentalen Alterungsprozess verfolgen. "Solange du dich veränderst, lebst du", sagt Chance und am Ende eines wunderbaren Abends sind die Figuren in der Sackgasse der geplatzten Träume angelangt, die Jugend verflossen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung