Noch im Herbst des Lebens

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In "Die Frau des Nobelpreisträgers" spielt Glenn Close die Angetraute eines Literaten, die sich spät, aber doch radikaler Wahrhaftigkeit stellen muss. Sie ist dafür für den Oscar nominiert.

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In "Die Frau des Nobelpreisträgers" spielt Glenn Close die Angetraute eines Literaten, die sich spät, aber doch radikaler Wahrhaftigkeit stellen muss. Sie ist dafür für den Oscar nominiert.

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Unter den zurzeit anlaufenden Mainstream-Filmproduktionen finden sich naturgemäß viele Oscar-Kandidaten. In "Die Frau des Nobelpreisträgers" ist es Glenn Close, die nun um den Hauptrollen-Oscar mitkämpft -und man darf ihr ohne Wenn und Aber konzedieren: Sie hätte diese Auszeichnung ganz gewiss verdient. Weniger prämierungswürdig ist der deutsche Titel des Films, denn der verrät schon holprig die Konstellation des Plots, während das schlichte "The Wife" des Originals die über die konkrete Geschichte einer Literatengattin hinausweisende grundsätzliche, bis heute virulenten Frauen-Problematik elegant auf den Punkt bringt.

Denn was Joan Castleman im Film (respektive in dem diesem zugrunde liegenden Roman der US-Autorin Meg Wolitzer) erlebt, gehört auch in ganz anderen Settings zur bitteren Erfahrung von Frauen - und zwar noch viele Jahre später als 1992, in dem "The Wife" spielt. Was vor gut einem Jahr in der #MeToo-Bewegung aufpoppte, erlebt in dieser Verfilmung eine Weitung von "Missbrauch" auf ein viel weiteres Feld als das der sexuellen Gewalt, die den Ausgangspunkt der Debatte bildete. Schließlich sind -auch wenn das nicht direkt den Plot betrifft -natürlich auch die Vorgänge in der Schwedischen Akademie im Hinterkopf, die bekanntlich zur Sistierung des Preises für 2018 führten.

Anruf aus Stockholm

Fast 40 Jahre sind Joan (Glenn Close) und Joe Castleman (Jonathan Pryce) miteinander verheiratet. Mitten in der Nacht erreicht das US-Paar der irgendwie ersehnte Anruf aus Stockholm: Joe ist der Literaturnobelpreisträger des Jahres 1992. Nun macht sich der in Ehren ergraute Schriftsteller mit Joan und Sohn David (Max Irons) auf nach Stockholm, um die Welt-Ehrung entgegenzunehmen. Tochter Susannah bleibt, weil sie hochschwanger ist, zu Hause. Das Verhältnis zwischen Vater und David ist gespannt, versucht sich der Sohn doch auch literarisch, was vom nunmehrigen Nobelpreisträger aber ignoriert und bestenfalls belächelt wird. Im Flieger gen Skandinavien gesellt sich noch der Schreiber Nathaniel Bone (Christian Slater) dazu, der eine Castelman-Biografie verfassen will/soll, was aber vom präsumtiven Protagonisten ganz und gar nicht goutiert wird.

Bröckelnde Fassaden

Fernab der Heimat beginnen aber die Fassaden, hinter denen sich die traute Familie Castelman so lang verschanzt hat, zu bröckeln. Bone wittert dunkle Geheimnisse der Castelmans oder scheint ein Wissen darüber in der Hand zu haben. Und je berühmter Joe nun ist, umso mehr brechen seine dunklen Seiten durch. Auch die Contenance, mit der Joan ihre Familie so lange zusammengehalten hat, schwindet. Als beim Bankett nach der Nobelpreisverleihung der frisch gebackene Laureat seiner Angetrauten dankt und sie gleichzeitig als Heimchen am Herd darstellt, scheint das Fass überzulaufen: Joan muss sich dem von ihr Verschwiegenen stellen. Es ist eine Freudʼ, Glenn Close dabei zuzuschauen, wie sie von der ihre Lieben zusammenhaltenden Ehefrau und Mutter zur Frau wird, die die Vergangenheit und die Realitäten wahrnimmt. Auch Jonathan Pryce' und Max Irons Darstellung von Vater und Sohn Castelman überzeugen. Noch mehr gelingt das aber Christian Slater als Boulevard-Schreiberling, der hinter seiner freundlich-verbindlichen Fassade die berufsübliche Abgefeimtheit durchblicken lässt.

In Szene gesetzt hat das alles der schwedische Regisseur Björn Runge, der nicht zuletzt vom Theater kommt, und auch von daher ein erklärt schauspielerorientiertes Kino machen kann. In die Geschichte der Castlemans von der Verkündung bis zur Verleihung des Nobelpreises streut das von Jane Anderson entwickelte Drehbuch Szenen aus den 40 Ehejahren der Castelmans ein -über die Acvancen des jungen Literaturprofessors Joe an seine mehr als begabte Studentin Joan, oder über den Neuanfang der beiden nach Joes Scheidung und die ersten literarischen Gehversuche Joes, denen Joan ihre eigenen schreiberischen Ambitionen unterzuordnen scheint. Die jungen Protagonisten werden von Harry Lloyd und Annie Stark gespielt, die sich in das Ensemble des Films gut einfügen können.

Der Plot von "The Wife" mag wohl ein wenig konventionell sein, die Konstellationen der einzelnen Familienmitglieder entpuppen sich doch als erwartbar. Aber auch wenn der Film als solcher nicht der ganz große Wurf scheint, so wird das durch die Performance von Glenn Close mehr als aufgewogen: Dass ihre Joan Castelman im Herbst des Lebens zu radikaler Wahrhaftigkeit bereit ist, nimmt man ihr voll und ganz ab -als eine zeitlos gültige Aussage, dass es nie zu spät sein kann, sein eigenes Leben zu beginnen.

Die Frau des Nobelpreisträgers (The Wife) S/USA 2018. Regie: Björn Runge. Mit Glenn Close, Jonathan Pryce, Max Irons, Christian Slater. Constantin. 100 Min.

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