Perfektionistisches Erzähltheater

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Warum „I Demoni“ bei den Festwochen? Was in Peter Steins Landhaus in Umbrien funktioniert haben mag, wirkt in Halle E als bloßes Zeitdokument.

An Peter Steins Langproduktion „I Demoni“ scheiden sich die Festwochengeister endgültig. Wer die Stärken des in den 1960er Jahren als Theatererneuerer gefeierten Regisseurs kritiklos bis heute anerkennt, wird in der schlichten Inszenierung auf seine Kosten kommen. Alle anderen bleiben an der Frage hängen, warum dieses perfektionistische Erzähltheater, das ästhetisch allein als Zeitdokument interessant ist, bei den Wiener Festwochen gastiert.

Stein hat Dostojewskis beinahe 1000 Seiten fassenden Roman „Die Dämonen“ dramatisiert und ins Italienische übertragen. Im Mai 2009 fand die zwölfstündige Uraufführung in Steins Landhaus in Umbrien statt. Damit war auch ein passender Ort für Dostojewskis Provinzstadt etabliert, die nach der Neuübersetzung von Swetlana Geier nicht von „Dämonen“, sondern von „bösen Geistern“ heimgesucht wird. Was im italienischen Ambiente und unter Peter Steins persönlicher Bewirtung hervorragend funktionieren mag, präsentiert sich in der Halle E des MuseumsQuartiers als historisches Dokument. Auf der extrem schlichten Bühne von Ferdinand Wögerbauer bilden nur wenige Requisiten das Interieur, das die Vorstellungen von einem italienischen Patrizierhaus mit jenen eines russischen Gutsbesitzes zusammenbringt.

Liebenswerter Idealist und Ästhet

Ein Chronist – Anton Grigorjew (Andrea Nicolini) – springt aufs schwarze Podium und erklärt die Zusammenhänge in wenigen Sätzen: Die verwitwete Gutsherrin Warwara Petrowna lebt mit Stepan, dem ehemaligen Hauslehrer ihres mittlerweile erwachsenen Sohnes Nikolaj, unter einem Dach. Der mit wilden Locken ausgestattete Elia Schilton spielt den Stepan als immer noch leidenschaftlichen sozialistischen Intellektuellen der ersten Stunde, der, wenn er nicht gerade guten Wein trinkt und Karten spielt, einmal wöchentlich die Runde des liberalen Clubs zu Gast hat. Stepan repräsentiert zugleich auch Steins Alter ego; er ist der liebenswerte Idealist, Ästhet und Träumer von einem neuen Russland, das neue Gruppierungen rund um den charismatischen Nikolaj in jene Katastrophen treiben, deren Wirklichkeit Dostojewski in den „Dämonen“ in prophetischer Scharfsicht vorweggenommen hat.

Was Stein an den „Dämonen“ aber vor allem interessiert hat, ist der Generationenkonflikt rund um die problematische Figur des Nikolaj Stawrogin. Dieser kaltherzige, gleichgültige Nikolaj, den Ivan Alovisio als düsteren Helden interpretiert, steht vage für den „post-postmodernen“ Menschen, der sich der Liebe der Mädchen und Frauen bedient, sie wieder vertreibt, weder Hass noch Liebe empfindet und vor allem keine Ideale oder politischen Ziele hat. Am Ende erschießt er sich aus dem Gefühl der inneren Leere. Die Frage nach dem Morden aus politischer Räson bleibt nicht im Russland Dostojewskis hängen, sondern blitzt etwa auch als Geschichte der RAF durch. Stepans Sohn Pjotr wird zum geistigen Bruder Nikolajs, der die Losung „Alles ist allem gleich“ auf das politische Leben überträgt. Alessandro Averone spielt ihn als überzeugten Anarchisten, der skrupellos mordet.

Stein hat eine „sentimental journey“ durch die eigene Geschichte, das eigene Schaffen entwickelt, in der seine Frau Maddalena Crippa beeindruckend die herrische Warwara Petrowna samt ihrer ambivalenten Liebe zu Stepan darstellt. Streng im Stanislawski’schen Sinne werden die inneren Regungen der Figuren, die zahlreichen hysterischen und epileptischen Anfälle genauestens dargestellt, jedoch ohne ironische Distanz oder künstlerische Überhöhung. In (gefühlter) Echtzeit finden die Prozessionen statt, die verwirrenden Begegnungen im Hause der Warwara oder die revolutionären Ausbrüche der Massen, die Stein gekonnt arrangiert. In dieser strengen Arbeit fehlt aber jene Atmosphäre, die ansonsten Steins Arbeiten auszeichnet.

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