Retro, aber ganz großes KIno

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Dass ein Stummfilm anno 2011/12 reüssieren kann, beweist Michel Hazanavicius in seinem Meisterwerk "The Artist“. Drei Golden Globes gab es schon, und auch Oscars winken.

Vielleicht ist es ja Überdruss an der Übertechnik: Ein Kino, das alle Stückeln spielt, ist gegenwärtig in Bau und Betrieb teuer. Sehr teuer. Aber für die Super-Action-Spezial-Effekte von heute sind Sound- und Projektionsmaschinen vonnöten, die den kleinen Programmkinos endgültig den Garaus machen. Im Zeitalter von 3D und IMAX muss auch ein Lichtspieltheater groß denken. Sonst wird es untergehen.

Und dann kommt - man muss es sich fast auf der Zunge zergehen lassen: nicht anno 1928, sondern 2012 ein Stummfilm ins Kino, der nicht nur eine perfekte Hommage an Hollywood in seiner Goldenen Zeit darstellt, sondern der gar kein Hollywoodfilm ist: Nein, ein französischer Regisseur mit Hauptdarstellern ebensolcher Nationalität begibt sich mit "The Artist“ auf eine kinematografische Zeitreise - und reüssierte in Frankreich ebenso wie in den USA.

Ein ernsthafter Oscar-Kandidat

Bei den Golden Globes durfte sich das Werk gleich über drei Preise freuen; und bei den Academy Awards wird - man muss kein Prophet sein, um das zu prognostizieren -der eine oder andere Oscar sicher abfallen.

In Britannien, ließen uns die Nachrichtenagenturen vor einigen Tagen wissen, hätten Kinobesucher das Eintrittsgeld zurückverlangt, weil sie nicht gewahr waren, dass im Film nicht gesprochen wird. Wahrscheinlich ging der Berichterstatter dieser Meldung einigen besonders ignoranten Kinogehern auf den Leim oder - wir neigen zu dieser Annahme - die Produzenten wollten das Interesse am Film weiter hinauftreiben.

Von der ersten Einstellung an ist klar: Hier handelt es sich um eine grandiose Verbeugung vor der frühen Filmkunst - von Friedrich Wilhelm Murnaus erstem Hollywood-Stummfilm "Sunrise“ (1927) bis zum Filmmusical "Singing in the Rain“, auf das auch das Drehbuch von "The Artist“ rekurriert.

Hollywood 1927: George Valentin, Superstar der Stummfilmära, will nicht wahrhaben, dass die Zukunft den tönenden Leinwandwerken gehört. Die von ihm entdeckte Tänzerin Peppy Miller hingegen steigt ebenso schnell zum ersten Star des Tonfilms auf, wie Valentin fällt. Ein großes Melodram bahnt sich an, denn das Schicksal Valentins rührt das heutige Publikum ebenso wie Peppy, die Protagonistin im Film.

Der Plot allein ist durch und durch der Filmstimmung der zwanziger Jahre geschuldet; bis in kleine Details, darunter auch das altgevatterische Filmformat von 1,33:1, wird eine lang vergangene Zeit lebendig. Durch die fehlende gesprochene Handlung zeigt sich einmal mehr, wie wirkmächtig und gewaltig das Bild im Film ist.

Stummfilm und kein Stummfilm

Und die fehlende Farbe tut ihr Übriges: Schauspielkunst, Kamera, der Einsatz von Licht und Schatten und die ausgeklügelte Regie von Michel Hazanavicius wirken so zusammen, dass eine augenzwinkernde wie im positiven Sinn nostalgische Reise vonstattengeht. Dazu kommt kongenial die Musik von Ludovic Bource, die subtil und wuchtig die Stimmung wie das Auf und Ab der großen Gefühle einfängt.

"The Artist“ ist ein Stummfilm und gleichzeitig kein Stummfilm. Und jedenfalls ein Kino-Opus des 21. Jahrhunderts. Das beginnt damit, dass dieser Schwarzweißfilm in Farbe gedreht wurde und erst in der Bearbeitung in die Retro-Farblichkeit transferiert wurde. Michel Hazanavicius operiert zudem mit szenischen und klanglichen Settings aller Art, einmal ist es ein Film im Film, dem ein Premierenpublikum stumm lauscht. Und als es darum geht, die Zweifel von George Valentin zu untermalen, ob sein Festhalten am Stummfilm Zukunft hat, wird dieser Stummfilm mit Musik doch auch einmal für einen Augenblick lang zum "Tonfilm“. Solche Aperçus machen "The Artist“ zu einem leichtfüßigen Kunstwerk. Man kann verstehen, dass das Publikum diesseits und jenseits des Atlantiks angetan war.

Das ist, keine Frage, auch den Darstellungen von Jean Dujardin als George Valentin und Bérénice Bejo als Peppy Miller geschuldet. Nicht zu vergessen John Goodman, ein US-Gast in dieser Riege, der, sichtbar erschlankt, ganz und gar köstlich den Filmproduzenten Al Zimmer gibt.

The Artist

F 2011. Regie: Michel Hazanavicius. Mit Jean Dujardin, Bérénice Bejo,

John Goodman. Filmladen.100 Min.

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