Schmutzmeere und Müllgebirge

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„Manche Menschen lassen nichts anderes zurück als schmutzige Fußabstreifer und volle Latrinen.“ Diese Notiz von Leonardo da Vinci fällt mir immer wieder ein. Wenn ich vor der Jesuitenkirche leere Flaschen, Zigarettenstummel und anderes beseitige, wenn ich den Donaukanal entlanggehe, wenn ich am Abend eines schönen Tages durch den Burggarten komme. Sie fällt mir auch ein, wenn ich von der Katastrophe im Golf von Mexiko lese. Ich frage mich: Was wird bleiben von unserer Gesellschaft außer Berge von Müll und Schmutz? Das gilt nicht nur für den Bereich des Materiellen, sondern auch für das weite Land von Geist und Seele. Was wird bleiben außer volle Latrinen und schmutzige Fußabstreifer?

Eine Reduktion der Produktion von Müll und Schmutz halte ich nicht für möglich. Immer mehr wollen immer mehr haben, konsumieren, genießen. Zu den bekannten Mülldeponien kommen bisher nicht eingestandene, verschwiegene hinzu. Im Geistigen und Seelischen werden die lange gepflegten Kulissenbauten morsch, brechen ein, und Schreckliches kommt zum Vorschein. Schmutzmeere, Müllgebirge.

Was ist zu tun? Die Kunst des 20. Jahrhunderts hat gezeigt, dass aus Abfall und Schmutz wunderbare und zauberhafte Gestalten geformt werden können. Das gilt auch im Geistigen. Die Kirche kann aus eigener Erfahrung einiges beisteuern zu dieser großen Wandlung. Auch die Wirtschaft hat in dieser Hinsicht vieles gelernt.

Und noch etwas anderes: Als kleines Kind ist meine Mutter einmal in die Jauchegrube gefallen. Ein vorbeitaumelnder Betrunkener sah im stinkenden Dreck ein kleines Stoffstück und angelte es heraus. So blieb meine Mutter am Leben. Wir sollten uns nicht zu schade sein, im Dreck zu angeln und Unscheinbares herauszufischen. Manchmal hängt ein Leben dran.

* Der Autor ist Kunsthistoriker und Rektor der Jesuitenkirche in Wien

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