Schützengraben statt Konzertsaal

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Als Nächstes verspürte ich einen entsetzlichen Schmerz in meiner Schulter, die vom Huf eines Pferdes getroffen war, und einen schneidenden Schmerz in meinem rechten Schenkel. Ich feuerte mit einem Revolver nach der verschwommenen Gestalt über mir, sah sie zu Boden sinken, dann verlor ich das Bewusstsein", erzählt Fritz Kreisler die ihm durch Kosaken zugefügte Verletzung. Und damit auch das Ende seines vierwöchigen freiwilligen Einsatzes als Reserveoffizier im Rang eines Leutnants der österreichischen Armee während des Ersten Weltkriegs.

Angeregt durch einen amerikanischen Verleger hatte der als Sohn eines Arztes 1875 in Wien geborene Musiker, den viele für den bedeutendsten Geiger halten, bereits 1915 seinen sehr persönlichen Frontbericht - der Einsatz führte ihn bis zur Schlacht von Lemberg - unter dem Titel "Four Weeks in the Trenches - The War Story of a Violonist" in englischer Sprache herausgebracht. Ein bis heute "einzigartiges Dokument für eine moderne Geschichte der Emotionen im Ersten Weltkrieg", wie es der Mitherausgeber der nun erstmals in deutscher Übersetzung herausgebrachten Ausgabe, der Zeithistoriker Oliver Rathkolb, charakterisiert.

Nervöses Temperament

Denn der große Musiker nimmt sich kein Blatt vor dem Mund, schildert ungeschminkt, welchen Belastungen man ausgesetzt war, die Gefahren, die er zu bestehen hatte, und wem er seine Rettung verdankte. Aber auch, wie außergewöhnliche Situationen unbekannte Kräfte mobilisieren können. "Ich besitze ein nervöses Temperament. Nie zuvor hätte ich mir zugetraut, das durchzustehen, was ich durchgestanden habe. Aber als ich mitten drin war, bemerkte ich, dass ich es durchgestanden habe", resümiert er in diesem packend geschriebenen Bericht. Ergänzt wird dieses Dokument durch entsprechende Berichte amerikanischer Zeitungen. Darin findet sich auch Kreislers Hochachtung für Kaiser Franz Joseph dokumentiert. Ihm gesteht er zu, zumindest die Stärke gehabt zu haben, "den modernen Entwicklungsbestrebungen auf intelligente Weise Gerechtigkeit widerfahren zu lassen."

Eingeleitet wird der Band mit einem Essay des früheren Vorstands der Wiener Philharmoniker, Clemens Hellsberg. Er hebt in seinem Kreisler-Lebensbild dessen humanitäre Größe und lebenslange Unterstützung für Künstler und in Not geratene Menschen ebenso hervor wie die schwierige Beziehung des Virtuosen zu den Wiener Philharmonikern. Sie verwehrten ihm einst die Mitgliedschaft, weil er angeblich ein schlechter Vom-Blatt-Leser sei.

Trotz des Tosens der Kanone

Frontbericht eines Virtuosen

Von Fritz Kreisler

Hg. von Oliver Rathkolb und Clemens Hellsberg

Braumüller 2015,136 S., geb., € 18,90

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